"Wir befürchten einen Rückfall der Berliner Polizei"

Berliner Grüne nennen Vorgehen gegen Antifaschisten absurd. Kritik an unangemessenen Einsätzen. Ein Gespräch mit Volker Ratzmann (Volker Ratzmann ist Rechtsanwalt und Vorsitzender der Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus)

Junge Welt: Der Innenausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses hat sich am Montag mit dem umstrittenen Polizeieinsatz in der Nacht vom 20. zum 21. August vor einem Fußballspiel des BFC Dynamo gegen den FC Union befaßt. Bei dem Vorgehen gegen angebliche Hooligans hatte es eine Menge Verletzte gegeben. Hat die Polizei richtig gehandelt?
Ratzmann: Das konnten wir nicht klären, weil der Polizeipräsident auf unsere Fragen unzureichend geantwortet hat. Er verwies auf laufende Strafverfahren. Er hat z.B. keine Antwort darauf gegeben, ob diejenigen, die dabei verletzt wurden, tatsächlich beim Eindringen der Polizei Widerstand geleistet haben.

Junge Welt: Bewohner aus Köpenick hatten sich beschwert, der gesamte Stadtteil sei fast im Belagerungszustand gewesen. Alles nur wegen einer Handvoll Fußball-Rowdys?
Ratzmann: So einfach kann man es nicht machen. Es ist eine harte Szene, die Anlaß zu dem Polizeieinsatz gab, das muß man ernst nehmen. Die Frage ist allerdings, ob die Polizei darauf angemessen reagiert hat. Auch, ob sie ausreichend differenziert hat zwischen harmlosen Fans und denjenigen, die zur gewaltbereiten Szene gehören.

Junge Welt: Auf den Köpenicker Straßen wurden von den Anwohnern keine Fans gesichtet. Dennoch hatte die Polizei ganze Straßen gesperrt und sogar alte Leute daran gehindert, in ihre Wohnungen zu gehen.
Ratzmann: Das war kein Thema im Ausschuß. Es ging im wesentlichen um die von der Polizei gestürmte Diskothek Jeton, in der sich viele Fans versammelt hatten. Dort hatte es auch die vielen Verletzten gegeben. Die Frage ist nach wie vor nicht beantwortet, ob der Polizeieinsatz angemessen war.

Junge Welt: Es gab Vermutungen, dieser Großeinsatz der Polizei sei eine Generalprobe für die Fußballweltmeisterschaft gewesen. Ist das plausibel?
Ratzmann: Ich hoffe nicht. Wir wollen natürlich nicht, daß die Berliner Polizei bei der Weltmeisterschaft nach einem Einsatz ein Siebtel aller Festgenommenen als verletzt registriert. Wir wollen auch nicht, daß es danach über 70 Strafanzeigen gegen die Polizei gibt. Die "Einsatzgruppe Hooligans" der Berliner Polizei war vorher nicht eingeschaltet worden. Die Beamten der Sondereinsatzkommandos (SEK), die zum Teil aus anderen Bundesländern kamen, waren daher wohl auch nicht richtig darüber informiert, wen sie in der Disko antreffen würden.

Junge Welt: Stimmt etwas nicht mit der Berliner Polizei? In letzter Zeit gab es viele Beschwerden: Yorckstraße 59, Häuserparty Prenzlauer Berg, die erwähnte Aktion vor dem Fußballspiel, das Studentencamp. Am Samstag sprengte die Polizei eine Veranstaltung von Antifaschisten.
Ratzmann: Wir waren davon ausgegangen, daß sich die Mentalität der Berliner Polizei geändert hat. Deswegen sind wir jetzt auch in Sorge, daß sie wieder in alte Verhaltensweisen zurückfällt. Wir drängen darauf, daß diese Vorfälle aufgeklärt werden. Die Durchsuchungen vom letzten Wochenende sind da besonders mißlich. Man muß sich das mal vor Augen halten: Wenn man im Internet einen Cocktail für die Abgabe eines NPD-Wahlplakates verspricht, kommt die Polizei! Da gab es eine Riesenrazzia mit gezogener Waffe und schußsicheren Schutzschilden. Es ist einfach absurd, so gegen Antifaschisten vorzugehen.

Junge Welt: Der Senat in Berlin wird von zwei Parteien gestellt, die sich beide als mehr oder weniger links verstehen. Lassen sich Linkspartei und SPD von einem verselbständigten Polizeiapparat vorführen?
Ratzmann: Davon kann sicher keine Rede sein. Nach wie vor halte ich große Stücke auf den gegenwärtigen Polizeipräsidenten Dieter Glietsch. Ich glaube, daß er es mit der Umgestaltung seiner Behörde durchaus ernst meint. Allerdings habe ich den Eindruck, daß die SPD kein Interesse daran hat, kritische Fragen zu stellen. Bei den Vertretern der Linkspartei schien es mir so, daß sie in Schlangenlinien aus dem Innenausschuß herauskamen. Sie lavieren zwischen der Frage nach der Verhältnismäßigkeit dieser Einsätze und ihrer grundsätzlichen Zustimmung z. B. zu den Aktivitäten der Antifaschisten. Ich bin gespannt, was die Linkspartei zu diesem Polizeieinsatz noch sagen wird.


Peter Wolter, Junge Welt, 30.08.2005