Ordnung und Sicherheit / Ein kleiner Ostberliner Fußballverein bedroht die Welt

Schafft es ein Oberliga-Fußballklub auf die Seite eins der Süddeutschen Zeitung, ist die nationale Sicherheit bedroht. Seit dem 20. August läuft eine bemerkenswerte Reklamekampagne einer informellen Schattenstruktur bei der Berliner Polizei, flankiert von Otto Schilys Lebenswerk zur Abschaffung der bürgerlichen Grundrechte mittels Schröders 1. FC Deutschland 06. Professionell wurde das Ostberliner Lokalderby zwischen DDR-Rekordmeister BFC Dynamo und dem 1. FC Union Berlin als Ausgangspunkt gewählt. Der BFC veranstaltete am Samstag ein internationales Fanturnier und informierte die Polizei sehr pflichtbewußt über die geplante Abschlußfeier mit Freibier in der Diskothek "Jeton". Ein korrupter Polizist der "Ermittlungsgruppe Hooligans" informierte die Fans über eine bevorstehende Razzia. Das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis Hooligans– Fußballpolizei sichert solche Allianzen, ohne den einen hat der andere keinen Spaß.

Sonntag gegen 1.30 Uhr stürmten Beamte des SEK die Disko. Das Berliner SEK klassifizierte ein ehemaliger Ausbilder gegenüber jW: "Alles Psychopathen". Die Beamten prügelten und verletzten wahllos, die Überwachungsvideos der Disko wurden konfisziert. 188 Diskobesucher wurden gefesselt und der herangekarrten Springer-Presse zur Ablichtung überlassen. Die Blätter des Meinungsmonopols multiplizierten am Montag folgsam: "Bravo Polizei!" (B.Z.). Der Sportinformationsdienst meldet 11.23 Uhr einen "Testlauf" zur Fußball-WM. Dummerweise lagen unter den terrorisierten Gästen auch Journalisten in Blutlachen, und die junge Welt berichtete zeitgleich objektiv. Nach dem Abdruck der Polizeipropaganda übernahm die Berliner Zeitung am Dienstag den Tatsachenbericht des Radiojournalisten Steve Winkler aus dem Internetforum des BFC. Plötzlich hatten die "gewaltbereiten Fans des BFC Dynamo" (Morgenpost) ein zivilgesellschaftliches Gesicht.

Und das hatte voll in die Fresse bekommen: Massenverhaftung auf Grundlage dubioser "Aufklärungsergebnisse", massive Körperverletzungen, folterähnliche Demütigungen, Nötigungen, 19 Stunden Haft für 158 freie Bürger und Fehlinformation des Polizeisprechers ("Wir haben den polizeilichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit definitiv nicht verletzt.") und des Polizeipräsidenten ("Ich erwarte von jeder Vereinsführung, auch vom BFC Dynamo, daß sie sich nicht mit Gewalttätern solidarisiert, sondern mit der Polizei kooperiert.") Noch am 20. August hatte die Morgenpost vom SPD-Innensenator Ehrhart Körting vermeldet, daß keine Sicherheitsbedenken zur WM beständen: "Fußballfans sind schließlich keine Terroristen." Gegen diesen Leichtsinn schoß die Gewerkschaft der Polizei (GdP) am 22. August: "Höchst alarmiert sind wir durch die Vorgänge vom Wochenende. Um ein einziges Spiel der 4. Liga zwischen dem 1. FC Union und dem BFC Dynamo abzusichern, mußten 1.100 Bereitschaftspolizisten eingesetzt werden."

Die Medienkampagne holperte ein bißchen, als Polizeipräsident Dieter Glietsch am 23. August die gewaltrechtfertigende Mär vom Widerstand der Diskobesucher gegen das SEK korrigieren muß. Bei der "Übermittlung der Informationen" habe es "Fehlinterpretationen und Mißverständnisse" gegeben. Blutlachen sind eben nur ein Komunikationsproblem. Im BFC-Fan-Forum wurde das mit: "Was, gewaltsame Auseinandersetzung? – Ach, Sie reden von der Sitzblockade in der Diskothek" kommentiert. Zeitgleich log der "Leiter der Führungsgruppe" des bundesweit berüchtigten Berliner Prügel-SEK, Bernd Kossin. Vorwürfe, daß Festgenommene nicht zur Toilette gelassen wurden, seien eine "Frechheit". Zur Sicherung der Kampagne wurde schnell der korrupte Polizist aus dem Ärmel gezogen. Die Überfallenen waren gemein, sie haben sich vorsätzlich nicht gewehrt. Am Donnerstag lief alles wieder nach Plan. Der Tagesspiegel rührte das Bedrohungsszenario zurecht. Unter der Überschrift "Dynamo-Fans sprechen von Racheakt" wird ein Polizeieinsatz vor Wochen mit 13 verletzten Polizisten als Einsatzursache rekapituliert.

"Beim BFC hieß es, daß der Einsatz im "Jeton" die Stimmung unter Fans massiv verschlechtert habe. Die Szene warte auf die nächste Gelegenheit zum Zuschlagen." Der BFC geht mit "anwaltlicher Hilfe" gegen den Artikel vor. Die Süddeutsche übernahm die nachträgliche Rechtfertigung und hievte den Berliner GdP-Vorsitzenden Eberhard Schönberg auf die Eins: "Von Fußballfans kann keine Rede sein. Die Hooligan-Szene besteht aus Neonazis, Kriminellen, Gewalttätern." Sie fressen gewöhnlich auch Kinder. Die verprügelten Fußballturnierteilnehmer aus Aberdeen und Malmö werden froh sein, das zu lesen. Am Mittwoch hatte Otto Schily in derselben Zeitung die Wiedereinführung des Schutzhaftparagraphen angekündigt: "Wenn man zwar sicher weiß, daß Personen gefährlich sind, aber keine konkreten Anhaltspunkte für eine Straftat hat – ist es da völlig außerhalb des Denkbaren, daß man sie für einen gewissen Zeitraum in Gewahrsam nimmt, zur Gefahrenabwehr und zur Sicherheit der Bevölkerung?" Der 1. FC Deutschland 06 wird eine Polizeidiktatur. Mittlerweile verteilt ein bundesweites Netzwerk von Faninitiativen T-Shirts mit dem Aufdruck: "DIE WELT ZU GAST – DIE DEUTSCHEN IM KNAST".


JHeinrich Hecht, Junge Welt, 26.08.2005