Razzia gegen Hooligans - Nach dem Polizeieinsatz klagen Diskobesucher wegen Körperverletzung im Amt. Polizeirechtler spricht von Skandal. An der Erstürmung des Jeton waren besonders viele SEK-Beamte beteiligt. "Es wurde massiv in die Grundrechte Unschuldiger eingegriffen"

Nach der Razzia gegen Hooligans in der Nacht zu Sonntag sind bei der Polizei 21 Anzeigen gegen Beamte eingegangen. Bei dem Einsatz waren 158 Gäste der Diskothek Jeton an der Frankfurter Allee festgenommen worden. Mindestens 21 wurden verletzt. Nach einer ersten Prüfung zahlreicher Augenzeugenberichte kündigte der Rechtsanwalt der Betroffenen, René Lau, gestern an: "Wir werden wegen Körperverletzung im Amt, Freiheitsberaubung und Beleidigung gegen mehrere Polizeibeamte vorgehen." Für den Fanbeauftragten des Berliner Fußballclubs Dynamo, Rainer L., ist es "ein erster Erfolg", dass die Polizei eingeräumt hat, dass es bei der Razzia keinen Widerstand von Seiten der Fans gegeben habe. "Aber noch immer hat die Polizei nicht zugegeben, dass mit völlig überzogener Härte und Brutalität vorgegangen wurde." Richter fehlten. Zwar dürfte die Tatsache, dass alle SEK-Beamten vermummt gewesen seien, eine Identifizierung nicht leicht machen, "aber wir setzen darauf, dass der öffentliche und politische Druck auf die Polizei jetzt so groß wird, dass sie keine andere Wahl hat, als auch Namen preis zu geben", so Lau.

So beschäftigt sich bereits am Montag der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses mit der Razzia. Rainer L. wird als Zeuge geladen sein, ebenso Anwalt Lau und Steve Winkler, ein Journalist, der sich im Jeton aufhielt. Winkler saß bis zum Sonntagabend im Polizeigewahrsam - wie zum Beispiel auch der 38-jährige Dirk Stutzke aus Prenzlauer Berg. Dieser ist krankgeschrieben, nachdem er drei Stunden mit auf den Rücken gefesselten Händen auf dem Bauch liegen musste. "Obwohl ich nie straffällig wurde, wurde ich erst gegen 19 Uhr aus der Gefangenensammelstelle entlassen", sagt Stutzke. Bei dem Einsatz hatte die Polizei 158 Personen festgenommen, darunter angeblich "die Schlimmsten der Szene".

Doch inzwischen weiß die Polizei nicht einmal mehr selber genau, welcher der Festgenommenen wie gefährlich ist. Noch am Dienstag hieß es offiziell: 22 gehörten zur "Kategorie B" (gewaltbereit), 19 seien "Kategorie C (gewaltsuchend), einer sei bekannt für Gewalttaten aus der rechten Szene, 28 seien in einer Kartei namens "Gewalttäter Sport" erfasst. Nicht nur, dass damit die anderen 88 unschuldig eingesessen hätten - inzwischen hält es die Polizei für möglich, dass einige Namen doppelt erfasst wurden. Denn unter "Gewalttäter Sport" sind bereits die B- und C-Fans registriert. Sollte sich dies bewahrheiten, dann hätte die Polizei bei der Razzia weit weniger gewaltbereite Fußballfans eingesammelt, als zunächst verkündet. Gleichzeitig gilt: Es hätten noch mehr Unbeteiligte hinter Gitter gesessen. Doch es gab offenbar noch weitere Pannen: Die Festgenommenen saßen deshalb so lange ein, weil es an Bereitschaftsrichtern mangelte.

"Es wurde massiv in die Grundrechte Unschuldiger eingegriffen. Nach dem Gesetz hätte unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung herbeigeführt werden müssen", sagt der Berliner Polizeirechtler und stellvertretende Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, Fredrik Roggan. Er spricht von einem "Polizeiskandal". Beistand bekommt er von dem Rechtsanwalt Bert Handschumacher: "Das rechtsstaatliche Verfahren der sofortigen Überprüfung der freiheitsentziehenden Maßnahmen wurde nicht eingehalten. Obwohl der Einsatz länger geplant war, war nur eine Haftrichterin anwesend", sagt dieser. "Erst gegen Mittag wurde ein zweiter Haftrichter angefordert." Bis 18 Uhr seien lediglich vier Inhaftierte dem Richter zugeführt worden. Wenn dieses Verhalten Schule mache, sei es zur "Schutzhaft nicht mehr weit", sagte er. Ein Sprecher von Polizeipräsident Glietsch sagte gestern, die Vorwürfe würden derzeit geprüft.

Kokain gegen Informationen. Unterdessen überraschte die Suspendierung eines Mitglieds der polizeilichen "Ermittlungsgruppe Hooligan" auch die Hooligans selbst. Polizeipräsident Dieter Glietsch hatte die Suspendierung damit begründet, der Beamte habe Informationen an die Hooligans weitergegeben. Bei denen ist der Beamte, der zur Führung der "EG Hooligan" zählt, wegen seiner Strenge verhasst. Dennoch hieß es es gestern aus Polizeikreisen, der Beamte habe Kokain gegen Informationen getauscht. Juristischer Ärger bahnt sich auch auf einer anderen Ebene an: Im Internet kursieren Informationen, wonach der Richter, der den Durchsuchungsbeschluss für die Razzia unterschrieben hatte, sich von der Polizei getäuscht fühle, weil diese in ihrem Antrag übertrieben habe. Die hatte einen Zusammenhang zwischen der Fan-Feier im Jeton und den schweren Ausschreitungen von Hooligans bei der WM 1998 in Frankreich und 2004 in Slowenien hergestellt. Doch tatsächlich bleibt der Richter bei seinem Beschluss und erwägt nun rechtliche Schritte gegen die Urheber der Behauptung im Internet.


Matthias Wolf / Andreas Kopietz, Berliner Zeitung, 25.08.2005