Glietsch in Bedrängnis: Hooligan-Einsatz hat Nachspiel im Parlament / Polizeipräsident rechtfertigt sich / Beamter soll Razzien verraten haben

Die Polizei hat ihre Darstellung über ihren Einsatz gegen Hooligans zurückgezogen. Nachdem am Sonntag Polizisten die Diskothek Jeton an der Frankfurter Allee gestürmt hatten, räumte Polizeipräsident Dieter Glietsch gestern ein, dass seine Beamten nicht auf "massivsten Widerstand" gestoßen sind - entgegen der ersten Darstellung. Er sprach von Missverständnissen innerhalb der Behörde. "Tatsache war, dass wegen des schlagartigen Eindringens des SEK Widerstand in massiver Form nicht geleistet wurde." Zunächst hatte die Polizei behauptet, sie sei unter anderem mit Tischbeinen und Flaschen angegriffen worden - womit sie auch ihr hartes Vorgehen begründete. 21 Gäste wurden verletzt, viele davon am Kopf. Nach eigenen Angaben war die Polizei gegen Hooligans vorgegangen, weil diese am Tag des Spiels BFC gegen Union schwere Krawalle geplant hätten. Hundert vermummte SEK-Beamte aus drei Bundesländern hatten gegen 1 Uhr das dreigeschossige Haus gestürmt. Wer nicht sofort auf dem Boden lag, habe Hiebe mit Schlagstöcken erhalten, berichten zahlreiche Besucher. Auch Frauen seien geschlagen worden.

Nach etwa 20 Minuten waren die Gäste mit Kabelbindern gefesselt. Nach dem Polizeieinsatz war der Fußboden in der Diskothek Jeton voller Blut. Selbst erfahrene Beamte der Einsatzhundertschaft kamen ins Zweifeln über die, wie sie sagten, "unangemessene Härte" des Einsatzes. Die Razzia war so geheim geplant, dass nicht einmal die "Ermittlungsgruppe Hooligan" etwas erfuhr. Diese szenekundigen Beamten sind ansonsten immer dabei. Doch einer von ihnen soll Polizeieinsätze an die Szene verraten haben. Er wurde inzwischen aus der Gruppe entfernt, sagte Polizeipräsident Glietsch. Ermittelt wird jetzt auch gegen Beamte, die bei der Razzia dabei waren. Wegen der Presseberichte seien inzwischen mehrere Verfahren eingeleitet worden, sagte Polizeipräsident Glietsch. Dennoch verteidigt er seine Beamten: "Das Grundkonzept des schlagartigen Eindringens und unmittelbaren Zwanges halte ich für gerechtfertigt. Der Einsatz war die Voraussetzung dafür, dass es am Rande des Fußballspiels keine Auseinandersetzungen gab."

Das sehen die Mitarbeiter des Jeton und viele Gäste anders. Nach ihrer Meinung war der Einsatz brutal und überzogen. Sie bereiten Klagen gegen die Polizei vor. Behauptungen, wonach gefesselte Gäste nicht auf die Toilette gelassen wurden und stattdessen ihre Notdurft nur in Eimer verrichten durften, bezeichnete der SEK-Kommandoführer Bernd Kossin gestern als "Frechheit". Dagegen bleibt Jeton-Betreiber Ronny Berkahn bei dieser Darstellung: "Die Barkeeperinnen, die das mit ansehen mussten, lügen nicht, und die Eimer lügen auch nicht." Auch sonst weisen sowohl Kossin als auch Einsatzleiter Michael Knape und der Polizeipräsident sämtliche Brutalitäts-Vorwürfe zurück: Das SEK habe von zwei Seiten aus schnell in ein unübersichtliches Gebäude eindringen müssen, um Widerstandshandlungen im Keim zu ersticken. "Wenn da ein Zwei-Meter-Koloss steht und man ihn mit der Schulter touchiert, kann auch mal ein Tisch umfallen", sagt Kossin. "Und wenn jemand einen Barhocker hoch nimmt, werden wir nicht warten, bis er damit zuschlägt. Wenn ein Kampfsportler mit einem Bierglas dasteht, schlagen wir es ihm aus der Hand, bevor er wirft."

Zudem hätten auf dem Boden Glassplitter gelegen, daher die vielen Schnittverletzungen und das Blut, sagt der SEK-Chef. "Bei dieser Klientel kann man nicht freundlich bitten, dass sie mal zur Seite geht." Was die Polizei am Sonntag im Jeton angetroffen habe, sei der harte Kern der Hooliganszene gewesen. "Das waren die Anführer der schlimmsten Schläger beim BFC", sagte Knape. "Sie fehlten beim Spiel und deshalb blieb es auch friedlich." Der Einsatz wird jetzt auch Thema im parlamentarischen Innenausschuss. Die Grünen wollen wissen, was wirklich passiert ist. "Besonders im Hinblick auf die Weltmeisterschaft muss gerade die Ordnungsmacht verhältnismäßig vorgehen", sagt Fraktionschef Volker Ratzmann. Auch die SPD will das Thema im Ausschuss. Es wird weitergehen: "Hooligans wollen die Fußball-WM 2006 für Auseinandersetzungen schwerster Art nutzen", sagt Kriminaloberrat Axel Bédé, der die Szene kennt. Dass die Polizei darauf vorbereitet ist, bezweifelt die Gewerkschaft der Polizei (GdP). "Die Stadt hat kein Einsatzkonzept, lediglich eine Urlaubssperre ist verhängt", sagte GdP-Landeschef Eberhard Schönberg. "Es fehlt in Größenordnungen an Polizisten und Fahrzeugen."


Lutz Schnedelbach / Andreas Kopietz, Berliner Zeitung, 24.08.2005