Weinrot gegen Hellrot unter Polizeischutz / Heute spielt der BFC Dynamo gegen den 1. FC Union - Dabei handelt es sich um mehr als nur ein Oberliga-Derby: Die Fans sind sich spinnefeind

Den Schal besitzt er seit fast 30 Jahren. Rot-weiß, selbst gestrickt. Damals gab es keine Fan-Shops und kein Merchandising. Auch später nicht in der DDR. Wer sich zu seinem Verein bekennen wollte, benötigte die Hilfe der Oma oder der Freundin. Bei besonderen Anlässen wirft sich Dirk Zingler sein liebstes Stück Stoff noch immer um den Hals. Heute wäre so ein Tag. Doch zum Berliner Fußball-Derby gegen den BFC Dynamo um 14 Uhr in der Alten Försterei gibt der Präsident des 1. FC Union den Schal an seinen Sohn weiter. Ein kleiner Beitrag zur Deeskalation. Zingler möchte kein Öl ins Feuer gießen. Der Absturz beider Klubs hat nichts daran geändert, daß sich die Fans von Union und BFC noch immer spinnefeind sind. Zum ersten Mal seit dem 22. April 2000 spielt Hellrot gegen Weinrot wieder um Punkte. In Liga 4. So tief waren die Erzrivalen noch nie gesunken. Was die Brisanz des Derbys nicht mindert.

"Frei von Emotionen werden diese Duelle nie sein", sagt Zingler. Und das ist eher untertrieben. Bis zu 12.000 Zuschauer, eine neue Bestmarke in der Nordost-Oberliga, Staffel Nord, werden in Köpenick erwartet. Ein Großaufgebot von Polizei, die mit 1000 Beamten im Einsatz ist, und Ordnungskräften soll befürchtete Ausschreitungen von Hooligans verhindern. "Wir haben im Vorverkauf bereits 2.100 Karten abgesetzt, rechnen damit, daß uns 4.000 Fans begleiten", sagt BFC-Präsident Mario Weinkauf. Dynamo und Union machen mobil. Die gegenseitige Abneigung ist tief verwurzelt. Kraß waren die Gegensätze von Anfang an. Der SC Dynamo, dessen Fußballer am 15. Januar 1966 eigenständig wurden, erfreute sich zu DDR-Zeiten der besonderen Fürsorge des Staates. Er war der Verein der Volkspolizei und der Liebling von Stasi-Chef Erich Mielke, wurde gefördert als einer der sogenannten Schwerpunkt-Klubs, mitunter protegiert von einzelnen Schiedsrichtern.

Und er war erfolgreich wie kein anderer. Von 1979 bis 1988 gewann der BFC zehn Meistertitel in Folge - Europarekord. Dynamo verfügte über eine exzellente Talentschmiede. Falko Götz und Andreas Thom, die beiden Trainer von Hertha BSC, durchliefen sie ebenso wie Thomas Doll, heute Coach beim HSV. Der 1. FC Union war nie Champion, gewann nur einmal (1968) den FDGB-Pokal. Er blieb der Kiez-Verein der kleinen Leute, auch in den drei Zweitliga-Jahren von 2001 bis 2004. "Sozialer Mittelpunkt für Menschen, denen nichts zugeflogen ist, die sich alles hart erarbeiten mußten", wie Boss Zingler sagt. Zu kurz gekommen fühlte sich Union in der DDR und pflegte das Image auch nach der Wende. Ein Underdog, der weitaus mehr Sympathie in der Bevölkerung genoß als der Rivale aus Hohenschönhausen.

Der spielte seit der Zwangsdelegierung des Armeeklubs FC Vorwärts Berlin nach Frankfurt/Oder ab 1971 im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark direkt an der Mauer in Prenzlauer Berg. Auf der Ehrentribüne des Prestigeobjektes residierte die SED-Prominenz. Bei politisch brisanten Ansetzungen wie dem Europacup-Duell 1988 mit Werder Bremen war das Publikum weitgehend handverlesen. Die meisten Tickets gingen damals in die Ministerien für Staatssicherheit (MfS) und des Innern (MdI). Bei Union war der Stadion-Besuch keine Dienstpflicht. Obwohl der Klub sportlich nur eine untergeordnete Rolle als Fahrstuhlmannschaft zwischen erster und zweiter DDR-Liga spielte, blieb seine Popularität ungebrochen. Sportlich konnte er dem BFC nicht das Wasser reichen. "Union war für uns kein Gegner", sagt Falko Götz, der 1983 mit seinem Dynamo-Kollegen Dirk Schlegel über Belgrad in die Bundesrepublik flüchtete.

Nur 1976/77 besiegten die Köpenicker den übermächtigen Stadtrivalen gleich zweimal mit 1:0. Die Zeiten haben sich geändert. Dynamo (Saisonetat 300.000 Euro) sieht sich inzwischen als Underdog gegenüber Union (1,9 Millionen Euro). Mehr Geld hat der Aufstiegsfavorit derzeit allerdings nur, weil Kinowelt-Chef Michael Kölmel die Rückzahlung seines Neun-Millionen-Euro-Darlehens bis 2010 gestundet hat. Fünf Jahre lang spielten die Köpenicker zuletzt höherklassiger. BFC-Boß Weinkauf: "Denen wurde in den vergangenen Jahren doch alles in den Hintern gesteckt. Da ist Politik im Spiel." Sie mögen sich nach wie vor nicht. Dennoch droht der BFC Dynamo Straftätern sogar mit Stadionverbot. "Wir wollen der Öffentlichkeit keinen Anlaß geben, mit dem Finger auf uns zeigen", sagt Weinkauf.


Horst Bläsig, Berliner Morgenpost, 21.08.2005