Animositäten über Generationen / Ein massives Sicherheitsaufgebot soll Krawalle beim Stadtderby zwischen dem 1. FC Union und BFC Dynamo verhindern

Eigentlich gilt die RTL-Sendung Explosiv als Fachmagazin für Brustvergrößerungen und menschliche Abgründe. Der Sport fristete bisher ein Schattendasein und wurde nur erwähnt, wenn Fußballteams kollektiv am Ballermann mit Strohhalmen Plastikeimer voll Sangria leerten. Am Sonntag (14 Uhr) aber werden sich die Reporter dem Berliner Oberliga-Stadtduell 1. FC Union gegen BFC Dynamo zuwenden. Ein Kamerateam begleitet die Beamten der Direktion sechs unter Leitung von Polizeikommissar Uwe Zeibig. "Die wollen eine Reportage über Sport-Gewalttäter machen. Wir hoffen, dass sie die Bilder, die sie erwarten, nicht bekommen", sagt er. Das Spiel findet unter großen Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Polizei spricht von tausend Beamten, beim 1. FC Union kursieren höhere Zahlen. Inklusive Ordner sollen 1.500 Sicherheitskräfte im Einsatz sein. "Das ist eine Art Generalprobe für die Weltmeisterschaft", erklärt Zeibig den Aufwand und spricht von "großer Brisanz wegen der traditionellen Feindschaft".

Es ist das Duell des ehemaligen Lieblingsvereins von Stasi-Chef Erich Mielke mit dem Klub, der sich in der DDR unterdrückt fühlte, ungeachtet aller Unterstützung durch den FDGB-Vorsitzenden Harry Tisch. Früher erlebten 40.000 Fans die Duelle im Stadion der Weltjugend, diesmal werden 12.000 erwartet. Zwar haben sich seit der Wende die Vorzeichen geändert, aber "ein richtiger Fan interessiert sich nicht für politische Veränderungen", sagt Sven Schlensog, Unions Fanbeauftragter: "Hinter dem Hass steckt keine Logik. Das sind Animositäten, die über Generationen weiter gegeben werden." Im Sommer 2004 wurde sogar ein Freundschaftsspiel wieder abgesagt - zu massiv war der Protest an der Basis. Was im Revier Schalke gegen Dortmund, das ist in Berlin Union gegen BFC, sagt Schlensog: "Wir erwarten, dass sich unsere Spieler das Hemd zerreißen." Bis zum Beginn der WM wird es in Berlin wohl nur zwei besonders brisante Spiele geben: Das erste am Sonntag an der Alten Försterei. Und das Rückspiel.

Die Polizei rechnet Dynamo 150 Fans der Kategorie C (gewaltsuchend) zu, bei Union sind es vierzig. Beim letzten Duell am 24. März 2001 im Landespokal gab es schwere Krawalle, Union siegte 3:0. Noch bis vor zwei Jahren trennten beide Klubs drei Ligen. Das unerwartet schnelle Wiedersehen bringt nun nicht nur Freude. Schon vor den Stadiontoren gibt es eine strikte Trennung der Fangruppen.Transparente werden überprüft, es sollen keine Hetztiraden verbreitet werden. Details will keiner verraten. "Kein Wort zur Taktik", sagt Zeibig. "Das würde unser ausgeklügeltes Sicherheitskonzept ad absurdum führen", erklärt Schlensog, bei Union auch Sicherheitsbeauftragter. Im Grunde rechnet im Stadion keiner mit Krawallen, die Gefahr von Zusammenstößen außerhalb sei größer, sagt Zeibig: "Es würde uns nicht wundern, wenn sich die Hooligans beider Vereine vorher noch zu Schlägereien treffen." Auf Anfahrtsstraßen und an S-Bahnhöfen werde es massive Polizeipräsenz geben. "Wir sind an allen Brennpunkten."

Seit Wochen wird in einschlägigen Internetforen Stimmung gemacht. Merkwürdig findet selbst der Fanbeauftragte des BFC, Rainer Lüdtke, dass Dynamo 2.100 Karten im Vorverkauf abgesetzt hat. "Es gab Anfragen aus Leipzig, Chemnitz und, und, und. Ich frage mich, wo diese Leute sonst sind", sagt er: "Jedenfalls nicht bei unseren Heimspielen." Seine Sorge ist, "dass wieder mal Krawalltouristen auf Kosten unseres Vereins Unruhe stiften." Wie vor zwei Wochen, als nach der Partie Dynamo gegen SV Yesilyurt bei Randalen zehn Polizisten verletzt wurden. Damals beobachteten allerdings Zuschauer auch eine neue, besonders harte Gangart der Polizisten, bei denen der Knüppel im WM-Jahr besonders locker sitzen soll. Am gleichen Abend noch wurden zwei mutmaßliche Rowdys dem Haftrichter vorgeführt. Einer behauptet, unbeteiligter Zuschauer gewesen zu sein. Zeibig kündigte nun an, dass auch in Köpenick "sofort Haftbefehle ausgestellt werden könnten, wenn Vorfälle beweiskräftig sind".

Erschwerend ist jedoch: Ab der Oberliga gelten verhängte Stadionverbote nicht mehr. Bei manchem Anhänger wirkt die Politik der Abschreckung. Einer, der sich im BFC-Fanforum Immo nennt, kündigt seinen Boykott des Spiels an. Er glaubt, die Polizei sei wegen der WM hypernervös. Er sei sich "als Prügelknabe oder Proband zu schade". Kein Einzelfall laut Lüdtke, viele könnten zu Hause bleiben, um nicht in der Datei Gewalttäter Sport zu landen. "BFC-Fans sind sicher keine Engel, aber auch nicht so kriminell wie wir oft gemacht werden", sagt er. "Muss es sein, dass man massig Wasserwerfer anfahren lässt? Das trägt sicher nicht zur Beruhigung der Gemüter bei." Eines eint ihn nun am Sonntag mit Schlensog: Die Hoffnung auf ein friedliches Fußballfest. "Ich würde mich freuen", sagt Lüdtke, "wenn die von RTL dumm gucken, weil sie keine knalligen Bilder haben."


Matthias Wolf, Berliner Zeitung, 20.08.2005