Aus den Unterklassen / Ostberlin im Derbyfieber. BFC–Union (Teil 1)

Es ist angerichtet: Am kommenden Sonntag, 14 Uhr, steigt an der Alten Försterei nach vier Jahren und fünf Monaten mal wieder ein Ostberliner Derby zwischen dem 1. FC Union und dem BFC Dynamo. Zuletzt spielten beide Teams am 24. März 2001 im Berlin-Pokal gegeneinander. Union gewann 3:0. Die Sause stieg im Jahnsportpark, den Union-Fans zärtlich "Jahntierpark" nennen. Union begann in jenen Tagen einen Durchschmarsch in die zweite Liga. Über das DFB-Pokalfinale kamen die Köpenicker sogar in den UEFA-Cup. Aber der Glanz ist schnell verblaßt. Union knobelt heute in der vierten Liga, der BFC Dynamo desgleichen. 2001 meinte man bei Union, das Kapitel BFC sei für alle Zeit erledigt. Union stieg auf, der BFC stromerte in die Insolvenz. Doch Totgesagte leben eben länger. Der BFC kam Dank der Entschlossenheit seiner Fans, die den Club entschuldeten und wieder auf die Beine brachten, zurück aus dem Nirwana.

Nun geht’s also erneut von vorne los. Beide Mannschaften standen sich bisher 48mal gegenüber. Statistisch gemustert hat der BFC Dynamo den Zinken vorn. 22 Siege für den BFC, 16 Siege für Union, zehn Unentschieden. Zu DDR-Zeiten standen die Spiele der Lokalrivalen unter einem besonderem Stern. Union hatte seinerzeit das Image eines Underdogs, galt als "ziviler" Verein. Der staatstragende BFC, das allseits verhaßte Bayern München der Zone, wurde vom Ministerium des Inneren (Zoll, Polizei, Staatssicherheit) gemanagt. Der dunkle Vadder der Macht, Erich Mielke, war erklärter BFC-Anhänger. Dem konnte Union nur die Unterstützung der Berliner SED-Bezirksleitung und einiger Kombinate wie TRO und KWO entgegensetzen. Erdenbewohner, die mit dem Sozialismus DDRscher Prägung wenig am Hut hatten, zogen in den 70ern scharenweise zu Union. Beim BFC entwickelte sich erst in den 80ern eine Fankultur diesseits der Bonzenrangen und Sicherheitsnasen.

Seit Anfang der 70er fanden die Derbys ausschließlich im Stadion der Weltjugend in Berlin-Mitte statt. Begründet wurde das mit dem hohen Zuschaueraufkommen, was anfangs auch stimmte. So kamen am 4. September 1976 tatsächlich 45.000 Zuschauer, die große Mehrheit Union-Fans. Der 1:0-Sieg der Köpenicker wurde entsprechend bejubelt. Mit den Jahren nahm das Zuschauerinteresse ab. Langeweile kehrte ein, weil der BFC nach Belieben herrschte. Kantersiege wie 7:1, 6:0 etc. waren keine Seltenheit. Beide Fanlager pflegen seit den 70ern eine intensive Feindschaft – bis aufs Blut. Anfänglich entschieden die zahlenmäßig überlegenen Unioner die meisten Schlägereien für sich. Anfang der 80er wendete sich das Blatt. Der BFC-Anhang trat äußerst geschlossen auf, plante die Auseinandersetzungen mit großer strategischer Sorgfalt. Häufig jagten 500 BFC-Fans Tausende panische Unioner durch die Chausseestraße.

In den 90ern ereignete sich relativ wenig. Beide Fangruppen waren im Zuge des gesellschaftlichen Wandels stark dezimiert worden. Erst als der BFC sich 1999 auf seine Traditionen besann, den zwischenzeitlich abgelegten Namen wieder annahm, gab es neuerlichen Ärger. Nach dem Pokalspiel 2003 erlebte der Prenzlauer Berg unschöne Jagdszenen. Einige hundert BFC-Fans und auswärtige Krawallbuben prügelten ums Stadion auf alles ein, was irgendwie nach Union-Fan aussah. Die Polizei schien überrumpelt, verlor die Kontrolle. Heute entwickelt sich vereinzelt ein gütiges Miteinander. So wetten Unioner und BFCer auf www.derbywette.de.vu/ friedlich gegeneinander. Union, im Gegensatz zum BFC auch Aufstiegsaspirant, ist am Sonntag klar Favorit. Alles andere als ein Sieg wäre für die Köpenicker eine Enttäuschung. Doch Derbys stehen unter einem besonderen Stern.


Frank Willmann, Junge Welt, 18.08.2005