Büttel an der Pfeife / Der BFC Dynamo will sich seine zehn DDR-Meistertitel mit Sternen dekorieren lassen - ein historisch fragwürdiges Ansinnen

Der Jubel dauerte nicht lange. Hatte die kleine Fraktion des DDR-Serienmeisters BFC Dynamo am Montag noch frohlockt, so steht die Frage, ob sich der BFC für alle Zeiten drei Sternchen über das Vereinsemblem sticken darf, nun wieder - pardon! - in den Sternen. Noch ist kein Beschluss darüber gefallen, dass der BFC für seine umstrittenen zehn DDR-Titel (1979 bis 1988) wie der deutsche Rekordmeister FC Bayern drei Sterne tragen darf, erklärte DFB-Präsident Theo Zwanziger. Bisher habe das DFB-Präsidium die Angelegenheit nur diskutiert. Schon sorgt sich die Süddeutsche Zeitung, ob sie beim BFC Dynamo die Sterne "wieder abpulen, ehe sie Freitag ihr Oberligaspiel bestreiten". Wenn DFB und Ligaverband DFL also weiter beraten, tun sie gut daran, gründlich zu zählen. "Bei wie vielen Titeln half ein Schiedsrichter mit?", hatte die Berliner Zeitung am Dienstag gefragt und damit unter BFC-Anhängern Entrüstung ausgelöst. So erkundigte sich ein Fan: "Haben Sie Beweise für Schiedsrichtermanipulation?"

Es mag sein, dass gewisse historische Wahrheiten in Berlin, unter BFC-Anhängern, nicht ganz so flächendeckend verbreitet sind wie im Rest jenes Teils des Landes, das einst DDR hieß. Man muss dagegen gar nicht polemisieren, sondern kann Dokumente sprechen lassen. Denn eigentlich hat es den größten deutschen Schiedsrichterskandal schon zu einer Zeit gegeben, als Robert Hoyzer noch im Krabbelgitter und nicht auf Fußballplätzen sein Unwesen trieb. In mehreren Archiven lagern kiloweise Dokumente über den systematischen Betrug zu Gunsten des BFC in der DDR-Oberliga. In Unterlagen des SED-Politbüros, des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB), des DDR-Fußballverbandes (DFV), in den Bezirksarchiven der Partei und in Stasi-Akten wird die Manipulation belegt. Im Kern beschreiben alle Berichte ein Phänomen: Stasi-Chef Erich Mielke hatte sein Lieblingsspielzeug zum Abonnementsmeister gemacht, indem er unter anderem dafür sorgte, dass BFC-Spiele größtenteils von Schiedsrichtern gepfiffen worden, die selbst Stasi-Mitarbeiter waren.

Mitunter agierten Mielkes Büttel noch primitiver, als sie 1981 etwa dafür sorgten, dass drei Nationalspieler des Dynamo-Rivalen aus Dresden - Gerd Weber, Peter Kotte, Matthias Müller - wegen Fluchtgefahr lebenslang für die Oberliga gesperrt wurden. Olympiasieger Weber saß zwischenzeitlich sogar im Gefängnis. Unter den vielen Dokumenten ragen zwei geheime Analysen des DFV der DDR heraus. In einer Auswertung der Oberligasaison 1984/85 listete DFV-Generalsekretär Karl Zimmermann Bevorteilungen des BFC in acht von 26 Punktspielen auf. Mindestens acht Punkte hatte der BFC dem "gezielten Einfluss anderer Instanzen" zu verdanken. Die Chiffre "andere Instanzen" lässt sich mit "Stasi" übersetzen; doch so deutlich konnte Zimmermann nicht werden, es hätte ihn den Job kosten können. Der BFC wurde damals mit sechs Zählern vor den punktgleichen Teams aus Dresden und Leipzig Meister.

Verschärfend kommt hinzu, dass auch direkte Duelle mit Dynamo und dem 1. FC Lok zu Gunsten des BFC gepfiffen wurden. Laut DFV-Studie war der BFC von den Schiedsrichtern Klaus-Dieter Stenzel und Reinhard Purz fünfmal, von Adolf Prokop, Manfred Roßner und Günther Habermann dreimal bevorteilt worden. Prokop, später als OibE (Offizier im besonderen Einsatz) der Stasi enttarnt, und Stenzel wurden international gesperrt. Beide durften fortan keine Spiele des BFC mehr pfeifen. Wie sollte der frühere Dresdener Trainer Klaus Sammer viele Jahre später sagen? "Zweiter zu werden und ab und zu Pokalsieger - mehr war in der DDR nicht zu erreichen." Jedenfalls nicht in den achtziger Jahren. Ein weiteres Papier aus dem DFV-Präsidium belegt, wie unverfroren die Referees agierten.

So wertete eine achtköpfige Funktionärsgruppe unter Leitung des Präsidenten Günter Erbach am 21. Juni 1985 per Videostudium das zwei Wochen zurück liegende FDGB-Pokalendspiel zwischen Dresden und dem BFC aus, das Dresden trotz haarsträubender Benachteiligungen glücklich mit 3:2 gewinnen konnte. 17 grobe Fehler wurden den Schiedsrichtern nachgewiesen, 14 zu Gunsten des BFC. Die Analysen waren auch wertend: "Die Fehlentscheidungen gegen Dynamo Dresden sind insgesamt schwerwiegender (qualitativ hochwertiger im negativen Sinne), da sie zum Teil im torgefährlichen Raum gefällt wurden und spielentscheidenden Charakter tragen können (Nichtanerkennung eines regulären Tores von Minge)." Aufgelistet werden ungeahndete rüde Fouls der dafür bekannten BFC-Spieler Trieloff, Terletzki, Rohde, Schulz und Maek. Immerhin: Die Verbandsfunktionäre sperrten den BFC-Referee Roßner. Seine Linienrichter kamen glimpflicher davon: Widukind Hermann beendete ohnehin die Laufbahn, Klaus Scheurell musste nur auf ein Europacupspiel verzichten.

In der Folge dieses Pokalskandals berichteten endlich auch einige DDR-Medien kritischer über Schiedsrichterleistungen, so beim Match zwischen Erfurt und dem BFC im Oktober 1985 (Schiedsrichter Reinhard Purz) und vor allem natürlich bei der Partie zwischen Lok Leipzig und dem BFC vom März 1986 (Schiedsrichter Bernd Stumpf), dem berühmtesten Schieber-Spiel. Stumpf, alias IM Peter Richter, zeigte erst Leipzigs Spielmacher Matthias Liebers eine unberechtigte Rote Karte, dann ließ er bis zur 95. Minute spielen, als der Berliner Bernd Schulz im Leipziger Strafraum erschöpft zu Boden sank. Klare Sache: Elfmeter für den BFC. Pastor verwandelte zum 1:1. "Fallelfmeter", lästerte das Sächsische Tageblatt. Und der 2. Sekretär der Leipziger SED-Bezirksleitung kabelte ans Politbüro: "Nach dem Spiel versuchten aufgebrachte Zuschauer, das Spielfeld zu stürmen und den Schiedsrichter anzugreifen. Negative Elemente wollten die Situation ausnutzen, um Unruhe zu stiften und die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu beeinflussen."

Wegen anhaltender Diskussionen in den Arbeitskollektiven sei die Planerfüllung in Gefahr! Fortan kam es zu Krisensitzungen der Partei- und Sportfürsten, wo Stasi-Boss Mielke am 31. März 1986 argumentativ entgegen hielt: "Soll ich mal sagen, wie viel Personen aus dem Bezirk Leipzig die DDR schon verraten haben? Diese Problematik werde ich dem Generalsekretär vortragen. (.) Der BFC hat weder den Schiedsrichter eingesetzt noch den Elfmeter gepfiffen!" Solche verpfiffenen Spiele sorgten in der Bevölkerung und auf den verschiedensten Parteiebenen - von den Betriebsorganisationen bis ins Politbüro - für schärfste Diskussionen. Geradezu brutal waren die Reaktionen der Stasi, wie zwei wütende Briefe des damaligen BFC-Präsidenten Manfred Kirste an Medienvertreter beweisen. Dem Sportchef der Jungen Welt warf der Verbal-Hooligan Kirste vor, er mache sich zum publizistischen Helfershelfer von Staatsverrätern - so jedenfalls kamen Kirstes Zeilen in der Redaktion an.

Dem Sportchef des DDR-Fernsehens teilte er in bescheidenem Deutsch, aber ultimativem Stil mit: "Nach Ihren Berichten werden sich bestimmte Gruppen dafür berufen fühlen, ihre Angriffe gegen den BFC Dynamo und den Schutz- und Sicherheitsorganen zu vergrößern, ja westliche Schmierfinken für eine Berichterstattung gegen unseren Fußball zu bestärken. Die Klärung auf der Basis politischen Verantwortungsbewusstseins erwarte ich von Ihnen mit parteilicher Grundhaltung." Irgendwann hatte sich das Thema erledigt, weil der aus Leipzig stammende DFV-Generalsekretär Zimmermann einige BFC-Schiedsrichter verbannen konnte. Auch Bernd Stumpf wurde gesperrt, und darüber beschwerte sich der Stasi-IM in einem Brief an Erich Honecker. Ironie des Schicksals: Zur gleichen Zeit lästerte IM Erich, ein anderer Stasi-Schiedsrichter, gegenüber seinem Führungsoffizier: "Die BFC-freundliche Thüringer Mafia wurde gesprengt." So war das damals mit dem "Schiebermeister BFC", wie man den Klub republikweit nannte. Bleibt die Frage, ob der Verein dafür drei Sterne erhält.


Jens Weinreich, Berliner Zeitung, 24./25.03.2005