Unselige Leidenschaft / Eine Studie über Mielke und den DDR-Fußball

Selbst Manfred Ewald war überfordert: "Fußball hat sein besonderes eigenes Gewicht, bei ihm wirken oft Individualismus und Fanatismus stärker als Disziplin und Vernunft"“, sagte er 1994 rückblickend in dem Interview-Band “Ich war der Sport". Nie war es dem DDR-Sportdiktator gelungen, den Fußball in den Griff zu bekommen. Ausgerechnet das Lieblingsspiel der Deutschen Ost wie West konnte in der DDR nicht mithalten – nicht mit dem Erfolg von DDR-Athleten in anderen Sportarten und nicht mit den Fußball-Spitzenteams aus anderen Ländern. Zu groß war das Kompetenzgerangel mit den Provinzfürsten des sozialistischen Staates und vor allem mit Stasi-Chef Erich Mielke, als dass im Fußball die totale Mobilmachung möglich wurde, die Ewald in anderen Sportarten organisierte.

Mielkes Fußball-Fanatismus wirkte stärker als Disziplin und Vernunft. Stets war er mehr am Erfolg seines Lieblingsklubs BFC Dynamo als am Fortkommen des DDR-Fußballs interessiert. Hanns Leske, Berliner Politikwissenschaftler und SPD-Kommunalpolitiker, erzählt in dem vorliegenden Band wissenschaftlich fundiert und gut lesbar die Geschichte dieser unseligen Leidenschaft: die Einschüchterung der Fans vor allem des Rivalen 1. FC Union, die Delegierung von Spielern und ganzer Vereine, die Eingriffe der Schiedsrichter zugunsten des Stasi- Klubs. Der BFC wurde zehnmal Meister, doch die Zuschauerzahlen gingen immer weiter zurück. Wenn der Klub im Europa-Cup ran musste, ging das so gut wie immer daneben. Anscheinend ist es nicht so einfach für Diktatoren, den Ball unter Kontrolle zu bringen. Das ist doch eine gute Nachricht.

Markus Hesselmann , Tagesspiegel, 15.03.2005