Der BFC und die türkischen Wochen

Erst, wenn uns korrekt der eisige Wind um die Köfte wedelt, wissen wir das Leben als Fußballverrückte so richtig zu schätzen! Unser entzückendes Berlin bietet netterweise einige hübsch triste und vor allen Dingen zugige Sportplätze, wo ein jeder vortrefflich abzittern kann. Um sich warmzuhalten, neigt der Fan dazu, mit den Armen herumzufuchteln oder den ein oder anderen Leitsatz voll Sachverstand in die Runde zu werfen. Auch die Fans des BFC Dynamo sind vortreffliche Sprücheklopfer, und ihre türkischen Ebenbilder stehen ihnen selbstverständlich in nichts nach. Wie öde wäre Fußball auch ohne die gegenseitigen Provokationen der Fans? Solange sie ohne begleitende Gewalt abgehen. Der Monat November verabreichte dem BFC Dynamo gleich drei Derbys gegen türkische Berliner Mannschaften. Zuerst wurde bei BAK 1:0 gewonnen, dann folgte ein 1:1 gegen die Sportfreunde von Yesilyurt.

Außerordentlich gesellig ging es bei den beiden Spielen nicht zu, das ist aber in Deutschland nun wirklich nichts außergewöhnliches. Zumal nicht nur unser aller Stoiber (man beachte das oi) gern die Botschaft unters Volk wirft, man dürfe der Türkei keinesfalls in die EU Einlaß gewähren. Jedenfalls traten vergangenen Sonntag weder Türkiyemspor Berlin noch der BFC Dynamo mit Kopftuch und Hackebeilchen in Kreuzberg gegeneinander an. Es wurde sich nicht lebhaft mit türkischem Fladenbrot und Ostberliner Konnopke-Spezereien beworfen. Auch die Berliner Antifa gab Entwarnung ob des Zustroms der Hohenschönhausener Teutonenschar. Selbst die Antifas hatten mitbekommen, daß die BFC-Fan-Hotten keineswegs alles Raufbolde und Nazis sind. Frühere Derbys zwischen beiden Vereinen wurden gern mal vom Berliner Fußballverband wegen der allgemeinen Sicherheitslage in andere Stadtteile verlegt.

Doch diesmal konnte tatsächlich im Stadion an der Katzbachstraße Fußball gespielt werden. Und es strömten die Massen. Über eintausend Zuschauer umrahmten das Sportfeld. Siebenhundertunddrei BFC-Anhänger, zweihundertsiebenundfünfzig Türkiyemfans, einhunderteinundfünfzig Gesetzeshüter und zwölf versprengte Freie Kreuzberger Kämpfer ohne Handy, die nichts vom aufgehobenen Aufruf mitbekommen hatten, sowie sechs Hunde. Die BFC-Fans ließen sich nicht durch penetrante Beschallung fernöstlicher Weisen aufstacheln. Die Türkiyemfans blieben auch nach manch provokantem BFC-Liedlein ruhig. Ja, es gab sogar für die durstigen Hohenschönhausener Fankehlen Bier zu trinken, eine sicherlich gastfreundschaftliche Geste. Nur die Gesetzeshüter gediehen trübselig, da sie ihre fetten Schlagknüppel nicht blank ziehen durften.

Da kam schon Mitleid auf. Hoffentlich hatten sie dicke Strümpfe und lange Unterhosen an. In der ersten Halbzeit mußte der BFC gegen die tiefstehende Sonne spielen, das geht als Entschuldigung für die zahlreich versiebten Chancen durch. Der BFC hatte das Spiel auch in der zweiten Halbzeit eindeutig im Griff, allein Suwary hätte drei Tore machen können. Diesmal stand die Sonne ordnungsgemäß, das hatte besonders heimtückische Folgen. Kurz vor Spielende intonierten die türkischen Fans plötzlich "Deutschland, Deutschland". Es blieb unverstanden, warum sie das taten. DJ Ltnt. Surf meinte nach dem Spiel, sie hätten "Nie wieder Deutschland" geschrien. Ich kann das nicht bestätigen. Ach ja, kurz vor Schluß wurde ein korrektes Tor des BFC vom Schiri nicht anerkannt, das Spiel blieb somit torlos. Außerdem wurden nach dem Schlußpfiff drei fettleibige Polizisten mit Fitness-Tipps und Diätvorschlägen versehen. War ein klasse Nachmittag bei zwei Grad plus Ostwind.

Frank Willmann, Junge Welt, 23.11.2004