Reisestopp für Kategorie C / Berliner Hooligans meiden die Reise nach Portugal

Für Rainer Lüdtke ist alles "reine Panikmache". Der Fanbeauftragte des Berliner FC Dynamo rechnet im Juni mit "null Krawall-Reisetourismus" zur Fußball-EM in Portugal. Selbst die Hooligans des BFC, die trotz gerade erworbener Viertklassigkeit ihres Vereins immer noch bundesweit gefürchtet sind, seien "viel vernünftiger geworden". Nur noch 30 würden sich hin und wieder mit Rostockern, Kölnern oder Dresdnern, völlig losgelöst vom Fußball, am Sonntagmorgen auf einer Wiese boxen. Das hört sich fast schon idyllisch an. Zumal Lüdtke, ein intimer Kenner der Szene, von insgesamt nur noch 50 Krawallos in ganz Berlin ausgeht. Also jeweils zehn weiteren beim 1. FC Union und Hertha BSC.

Die Berliner Polizei hingegen wartet mit ganz anderen Zahlen auf. 261 Fans der Kategorie C soll es in der Stadt geben, übelste Gewalttäter. Obendrein rund 700 der Kategorie B, gelegentlich auffällig. Am Dienstag bat der Polizeipräsident Dieter Glietsch persönlich zur Pressekonferenz. Mit harten Bandagen würden die Ordnungshüter gegen all jene vorgehen, die angeblich nur ein Reiseziel haben: Portugal. Bewiesen werden kann diese Absicht aber nur sieben reisenden Gewalttätern, wie Iris Tappendorf ihre Klienten nennt, die Chefin der Ermittlungsgruppe Hooligan bei der Berliner Polizei. Bei allen anderen fürchte man, sie könnten vor dem Verwaltungsgericht klagen gegen die Anordnungen, denen sich nun Betroffene zu beugen haben. In erster Linie Meldeauflagen, während der EM täglich bei einem Polizeiposten vorstellig zu werden. Bei sechs Fans wurden zudem Passauflagen vorgenommen: Ihre Papiere gelten nur noch im Inland. Über 40 weitere Fans würden "beim kleinsten Anzeichen einer von ihnen ausgehenden Gefahr aus dem Verkehr gezogen", schreibt die Polizei.

Diese wurden von der EG Hooligan angeschrieben: Ohne Drohungen, nur mit der Bitte, sie mögen dem Ansehen Deutschlands nicht schaden. Prävention ist die Strategie der Polizei. In Berlin, sagt Tappendorf, klappe das gut. Seit vor fünf Jahren mit 147 Festnahmen eine Massenprügelei vor dem DFB-Pokalfinale verhindert wurde, gelte Berlin als "unattraktiv bei den Hooligans". Die Kritik, ihre Abteilung sei mit 24 Beamten überdimensioniert, weist sie von sich. Man habe mit Union, Tennis Borussia, Hertha und dem BFC vier Problemklubs, die man auch auswärts begleite. Hooligans bei TeBe und Union? Bei diesen Klubs gab es seit Jahren keine nennenswerten Vorfälle mehr. Aber Bärbel Freudenberg von der Landes-Informationsstelle Sporteinsätze (LIS) betont: "Würden wir die Maßnahmen reduzieren, würde alles wieder Dimensionen annehmen, die keiner möchte."

Während die Fans nun hartnäckig argumentieren, sie würden gegängelt, bei geringsten Vergehen mit Stadionverbot bedacht und in die Fan-Güteklasse C befördert, behauptet die Polizei: Nur eine gesunde Härte gegenüber Unruhestiftern macht Fußball liebenswert. Dass in allen Bereichen der Straftaten rund um den Sport ein erheblicher Rückgang verzeichnet werden kann, sei "eine Folge des Überwachungsdrucks", formuliert Tappendorf. Doch selbst Arne Sieg, jener Beamte, der als Vertreter der EG Hooligan nach Portugal reisen darf ("als Berater der portugiesischen Behörden im Status eines Touristen"), sagt: Im Moment seien die Berliner Rowdys wenig interessiert an Krawall. Wozu dann der Aufwand und die Kosten? Womöglich dösen die Hooligans nur. Im Hinblick auf die Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land wolle keiner auffällig werden und dann das Highlight verpassen, vermutet Tappendorf. Lüdtke sieht das sogar ähnlich: "So mancher Hool wartet auf was Großes. Denen ist die EM zu unwichtig." Von einem Massenphänomen könne man dabei aber auch nicht sprechen.

Matthias Wolf, Berliner Zeitung, 26.05.2004