Fußball bei Eis und Schnee, olé / Das Samstagspiel des BFC Dynamo

In diesen Tagen sitzt der gemeine Sportsfreund gern vor der Glotze. Zu seiner Rechten lauert ein lauwarmes Bierchen, zu seiner Linken ruht – sicher vor Katze, Frau und Kind – die Fernbedienung. In der Glotze tummeln sich Damen und Herren in winterlicher Landschaft. Sie haben dicke Schießprügel umgeschnallt und schlittern mit gutgewichsten Skiern von einem Schießplatz zum Nächsten. Zwischendurch ballern sie auf wehrlose schwarze Scheiben, na gute Nacht, Marie! Der friedliebende Sportsfreund hingegen stellt sich bei sieben Grad unter Null auf den Fußballplatz, um sein sächsisch klingendes ”Düüünaaamooo!" zu jauchzen. Am Samstag spielte der BFC Dynamo vor 500 Zuschauern im heimischen Sportpark Hohenschönhausen auf. Gegner auffem Platz war Tasmania Neukölln, trainiert vom ehemaligen Kneipenwirt und Hertha-Stürmer Axel Kruse. Der BFC steht in der fünften Liga momentan auf Platz drei, Tasmania auf Platz zwei.

Unter den Zuschauern: Erfolgsautor Andreas Gläser, die stadtbekannte Ost-Rockerin Madame X und der Schallplattenunterhalter Leutnant Surf. Wir waren naturgemäß mit Madams russischem Motorradgespann in Hohenschönhausen vorgefahren, der Leutnant auf dem Sozius, der Rest im Beiwagen. Bestes Fußballwetter, fühlte Herr Gläser. Eingebuxt in lange Unterhosen Marke Mutti, sponsored by Conny’s Container. Stasi, SEW oder NPD hatten den Fußballfreunden 1000 Liter roten Glühwein gespendet, so wurde allen innerlich warm. Auf den Stehplatzrängen die üblichen Verdächtigen. Als Tasmania kurz vor der Halbzeit in Führung ging, pöbelte ein semiproletarischer Mob hinter uns in den höchsten Tönen und vermutete eine Verschwörung von Schwulen, Negern, Fotzen und Zecken.

Als Lösung wurde von diesem kreischenden Pack die Gaskammer avisiert. Madame X stellte daraufhin fest, daß dieser Besuch beim BFC der erste und letzte für sie gewesen sei. Wir trauten uns wegen der zahlenmäßigen Überlegenheit der Gruppe nicht, erzieherisch einzuschreiten. In der zweiten Halbzeit rutschte der Ball für den BFC besser. Es gab ordentlich Karton vom Schiedsrichter, erst durfte eine Tasmane vorzeitig vom Feld, kurz darauf ein BFC-Spieler. Der BFC machte anständig Druck. Indessen ich die wunderschöne Stadiontoilette besuchte, fiel das 1:1. Ein Kopfball des BFC-Spielers Rudwaleit rutschte vorm Tor über das Schneefeld, bekam Schnee-Effet, und drin war er.

Die letzten Minuten waren spannend. Man spürte: Der BFC hat den Aufstieg in die vierte Liga noch nicht abgeschrieben. Das Insolvenzverfahren soll kurz vorm glücklichen Abschluß stehen, verhaltene Aufbruchstimmung macht sich breit. Angetrieben von den zwei balltretenden Veteranen Jörn Lenz und Jörg Schwanke zog der BFC blank. Und siehe, als wäre es eine Reminiszenz an alte Zeiten, pfiff der Schiedsrichter in der 95. Minute Elfmeter für den BFC. Lenz legte sich den Ball zurecht. Er hatte mit Dynamo schon bessere Zeiten gesehen, spielte anno dazumal im Europacup. Nach kräftigem Anlauf drosch er den Ball ins Tor! 2:1 gewann der BFC verdient dieses Spiel. Erfolgsautor Gläser bekannte, einen überdurchschnittlich schönen Nachmittag in Hohenschönhausen verbracht zu haben. Während der Leutnant lachend den großartigen Sieg eines tollen Teams konstatierte, meinte Madame X: Scheiß Nazis! und gab ihrer Karre die Sporen, daß es fauchte, wimmerte und rasselte.


Frank Willmann, Junge Welt, 26.01.2004