Schauerstory der Pillenfresser / Eine Kronzeugenregelung in Sachen BFC Dynamo

Haben die Fußballer des BFC Dynamo vor dem Spiel gegen Werder Bremen 1988 Pillen genommen oder nicht? Waren es kleine blaue oder große grüne? Fragen über Fragen, mitten in der Fußballpause! Wer wirft sie auf? Der Name des Betreffenden ist nicht nur der Redaktion bekannt, wird aber an dieser Stelle nicht genannt, weil der "Betreffende" einen langfristigen Vertrag mit Rechtsanwälten hat, die – so hört man – nach der Zahl der Prozesse bezahlt werden, die sie in seinem Auftrag in Gang bringen. (Die jW hat nützlichere Verwendung für ihre Mittel als deren Überweisung an Gerichtskassen.) Fest steht, daß der "Betreffende" nicht viel Ahnung vom Fußball hat, was er auf einer Versammlung von Sporthistorikern in Potsdam nachwies, auf der er Frei im Felde Halle statt Horch Zwickau zum DDR-Fußballmeisterschaftsfinalisten von 1950 machte.

Dessen ungeachtet schrieb er nun ein Buch über Fußball, und weil darin von jenen farblich noch nicht identifizierten Pillen die Rede ist, die die von MfS-Minister Mielke finanzierten Dynamo-Fußballer vor dem Spiel gegen Werder Bremen eingenommen haben sollen, nutzte der Spiegel die Gelegenheit, mal wieder einen Beitrag zum Thema Stasi zu publizieren. Der Paß des Hamburger Magazins in den Strafraum erreichte sein Ziel: Nachdrucke, vor allem aber inquisitorische Interviews "investigativer" Journalisten mit damaligen Spielern waren die Folgen: "Haben Sie oder haben Sie nicht?" Fans ereiferten sich, die einen pro Dynamo, die anderen kontra. Wer aber könnte eine verbindliche Antwort wissen? jW fand einen verläßlichen Kronzeugen, der alles weiß, aber darum bat, seinen Namen nicht zu nennen, weil auch er seine Zeit besser zu nutzen weiß, als sich in Gerichtssälen mit dem "Betreffenden" zu streiten.

Der "Kronzeuge" war zu DDR-Zeiten im Auftrag des DDR-Fußballverbandes und der UEFA "Doping controlling officer" (DCO), also einer jener Männer, die zu Fußballspielen reisen, dort von ausgelosten Spielern Urinproben fordern und diese in eines der lizensierten Labors bringen. "Kronzeuge" hatte übrigens vorgeschlagen, im DDR-Fußball Dopingkontrollen einzuführen, als man zum Beispiel in der BRD noch nicht daran dachte. Ein pfiffiges Verfahren hatte er sich einfallen lassen: Ob Dopingproben nach einem Spiel genommen würden oder nicht, sollte erst in der Halbzeitpause ausgelost werden. Die Frage, warum derlei in der moralisch eigentlich doch vorbildlichen DDR überhaupt nötig war, läßt sich damit beantworten, daß in allen Breitengraden Funktionäre anzutreffen sind, die um jeden Preis gewinnen wollen (noch lange nach dem Untergang der DDR soll es sie geben).

Und zu "um jeden Preis" gehörten eben auch Pillen. "Kronzeuge" wurde 1990 vom Deutschen Fußballbund als Experte und DCO übernommen und versieht sein Amt bis auf den heutigen Tag. Ein Ex-DDR-Dopingkontrolleur kontrolliert heute in BRD-Diensten! Es überrascht nicht, daß der "Betreffende" seinen Einspruch einlegte, der jedoch abgewiesen wurde. Den "Kronzeugen" hatte der "Betreffende" nicht konsultiert, als er seine Schauerstory schrieb, die dem Spiegel so sehr gefiel. Hätte er ihn gefragt, hätte er zum Beispiel erfahren, daß die Geschichte von den pillenfressenden Dynamospielern grottenschlecht erfunden war. Denn die UEFA, die jedes Europapokalspiel beaufsichtigt, bediente sich schon damals eines reibungslos funktionierenden Systems: Man holte einen Schweizer Notar und ließ das Los entscheiden, wohin ein DCO geschickt werden sollte.

Auch der Spieldelegierte wurde nicht informiert. Demzufolge konnte der BFC gar nicht wissen, ob in Berlin eine Kontrolle stattfinden würde oder ob das in Bremen der Fall wäre. So einfach ist das (die Variante des "Betreffenden" erinnert an Frei im Felde Halle). Die Frage, ob er jemals bei DDR-Kontrollen Dopingtäter gefunden hätte, bejahte "Kronzeuge". Namen nannte er verständlicherweise nicht. Soviel sei verraten: Eine der Mannschaften spielte damals in der DDR-Liga , einen Steinwurf von der A2 entfernt. Übrigens: Der "Betreffende" soll vor Urzeiten für den Sender gearbeitet haben, der sich vom Westen her an die NVA-Soldaten wandte. Er ist zumindest auf diesem Gebiet also nicht untrainiert.


Klaus Huhn, Junge Welt, 12.01.2004