Wenn Oma krank ist, muß man helfen / Die wichtigsten Vereine der nächsten Saison. Heute: Der BFC Dynamo

Der DDR-Rekordmeister geht am Stock. Das zweite Jahr spielt der BFC in der 5. Liga, der Verbandsliga Berlin. Immerhin gibt es ihn noch, wenn auch seit Oktober 2001 ein Insolvenzverfahren läuft. Clubpräsident Peters ist zuversichtlich, die Insolvenz abzuwenden. Alle Unterlagen sind eingereicht, man wartet auf ein Signal der Hauptgläubiger. Langfristiges Überleben ist nur möglich, wenn ein Aufstieg in die Oberliga Nordost gelingt. Geld hat der Club keines, man lebt hauptsächlich von den Mitgliedsbeiträgen. Die alten Dynamo-Kader des DDR-Ministerium des Innern haben sich längst in die Büsche geschlagen. Viele Fans sind nach der Insolvenz Mitglied geworden, um ihren Verein so zu unterstützen. Ohne die Fans wäre der Club längst tot.

Sie suchten sich ihren neuen Präsidenten selbst und besorgten für die letzte Verbandsligasaison eine Mannschaft. Immer wieder sammelten sie Geld, bauten sich ein Vereinsheim und organisierten Solidaritätsveranstaltungen: "Saufen für den BFC". "Saufen für..." wurde von anderen Fanclubs sofort kopiert. Die neue Saison beginnt am 10. August. Am ersten Spieltag muß der BFC im Sportpark Neukölln gegen Tasmania 73, den Hauptkonkurrenten um den Aufstieg, antreten. 500 Fans werden dabeisein, die wiederum von etwa 250 Polizisten umsorgt werden. Für die Berliner Polizei ist ein großer Teil der BFC-Fans eine Ansammlung von Schlägern und schlimmen Fingern. In der Vergangenheit waren BFC-Fans immer wieder in schwere Auseinandersetzungen mit Polizei und Fans anderer Clubs verwickelt.

Mitte Juni 2003 wurde ein Freundschaftsspiel des BFC in Worms abgesagt, nachdem die Berliner Polizei ihre Wormser Kollegen vor einfallenden Hooliganhorden warnte. Die Stadtväter von Worms wollten ihr Städtchen nicht modernen Mongolen überlassen und verbaten sich den Auftritt der Hauptstädter. Bei weitem nicht alle Fans gehen zum BFC, um sich aufs Maul zu hauen. Einer von den ihnen ist Uschi. Uschi ist seit Urzeiten BFC-Fan, er hielt dem Club in allen Zeiten die Treue. Im Bräustübel in der Berliner Brunnenstraße versorgt er mittwochs und donnerstags von 10 bis 24 Uhr Durstige. Außerdem hat er eine fast vollständige Sammlung diverser BFC-Devotionalien in seinem Heim untergebracht.

Junge Welt: Seit wann gehen Sie zum BFC?
Uschi:
Etwa seit 1972

Junge Welt: Wer hat Ihren ersten Schal gestrickt?
Uschi:
Ich, mit einer Strickmaschine.

Junge Welt: Wie hat man als Fan die Bonzentribüne wahrgenommen?
Uschi:
Politik ist in unserem Verein praktiziert worden wie in keinem anderen. Auf der Tribüne saßen Mielke, Honecker u.a. Für uns Fans waren das Idioten, wir hatten wegen ihnen nur Unannehmlichkeiten. Links die Mauer, bewacht von scharfen Hunden, rechts der halbe Staatsrat, bewacht von einer Reihe Bullen. Jetzt wird mir jeder die Frage stellen: Na watt wollste denn da? Ich fand es faszinierend, wie so viele unterschiedliche Gruppen zu einer Fangemeinde zusammengefunden haben. Kommunisten, Lehrer, Schüler, Punks, Kuttenträger, Schläger, aber auch Hausfrauen mit braven Männern. Aus meiner Sicht war der jugendliche BFC-Fan ein Bullenhasser, ein junger Mensch, der aus dieser eingemauerten Stadt ausbrechen wollte. Der auf eine raue Art seine Pubertät abstreifen wollte. Der Staat hat es versäumt, uns eine Richtung vorzugeben. Es wurde versucht, uns gegeneinander auszuspitzeln. Man versprach uns Hilfe in eigener Sache, wenn wir die persönlichen Kumpels anscheißen würden. Pfui Teufel. Leider ist der Unmut über den Staat von den Fußballfans der DDR auch auf uns BFC-Fans abgewälzt worden. Unser Spruch darauf: Euer Haß macht uns stärker.

Junge Welt: Wie sehen Sie die gegenwärtige Lage beim BFC?
Uschi:
Wenn die Insolvenz abgewendet ist, sehe ich in den nächsten fünf Jahren zwei Aufstiege. Bis dahin muß etwas im deutschen Fußball geschehen. Es kann nicht sein, daß Ostclubs in fast jeder Auf- und Abstiegsregel vom DFB benachteiligt werden. Wir wollen wieder Vorbild sein im Nachwuchsfußball.

Junge Welt: Wo landet der BFC am Saisonende?
Uschi:
Platz 1.

Junge Welt: Welche neuen Spieler wurden verpflichtet?
Uschi:
Jörn Lenz kam zurück vom VFB Leipzig. Jörg Schwanke kam vom Dresdner SC. Dann kamen die verlorenen Söhne Falk Jarling und Maximilian Wolchow. Sie verstärken unsere ohnehin starke Mannschaft erheblich.

Junge Welt: Wer ist der Hauptgegner um den Staffelsieg?
Uschi:
Tasmania 73, auch der Köpenicker SC ist nicht zu unterschätzen.

Junge Welt: Ihr Motto zum BFC?
Uschi:
Schau nicht nach dem Westen, spuck nicht auf den Osten, halt dein Tor sauber, oder es fängt an zu rosten.

Junge Welt: Wie umfangreich ist Ihre BFC-Sammlung?
Uschi:
Ich bin krank. Ich sammel’ auch die Schnipsel von der Eintrittskartenrolle. Hab’ keinen Überblick mehr.

Junge Welt: Trauern Sie manchmal der alten DDR-Oberliga hinterher?
Uschi:
Na, aber zu 100 Prozent. Unsere Spieler haben sich damals ohne das große Geld für den Sport zerrissen.

Junge Welt: Warum ist es mit dem BFC so schlimm gekommen?
Uschi:
Der Westen hat mit Bargeld gelockt, wir wurden übers Ohr gehauen, wir haben Fehler gemacht.

Junge Welt: Ist der BFC schuld am Mauerbau?
Uschi:
Wir sind 1966 gegründet worden! Hätten Sie gefragt: War die Mauer richtig? Hätt’ ich gesagt: Früher habe ich sie gehaßt, heute weiß ich keine Auskunft mehr.

Junge Welt: Hat der BFC ein Hooliganproblem?
Uschi:
Nicht mehr als andere Klubs. Unser Problem ist, daß wir mit dem Staatsapparat der DDR und allem Schlechten von 1949 bis 1989 auf eine Stufe gestellt werden. Wir sind Verurteilte, die nicht die Möglichkeit bekommen, zu zeigen, was in ihnen steckt.

Junge Welt: Sie haben beim BFC eine Werbebande gemietet? Warum?
Uschi:
Ja, für mich ist der BFC auch Familie. Und wenn Oma krank ist, muß man helfen

Junge Welt: Was macht Ihnen den BFC auch in der 5. Liga liebenswert?
Uschi:
Höchster Zuschauerzuspruch in der Verbandsliga, ich bin der Meinung, die 5. Liga kann doch nicht alles gewesen sein.

Junge Welt: Die Fans haben den BFC nach der Insolvenz am Leben gehalten.
Uschi:
Ohne das heldenhafte Einmischen der Fans in die Vereinspolitik würde es den BFC nicht mehr geben.

Junge Welt: Wann wird die Insolvenz abgeschlossen sein?
Uschi:
Wir sind gezwungen zu warten.

Junge Welt: Wer geht heute zum BFC?
Uschi:
Bei Heimspielen ist Familientag, bei Auswärtsspielen Vatertag.

Junge Welt: Wie viele kommen?
Uschi:
Zirka 300 bis 500 Zuschauer, bei Spitzenspielen können es schnell auch mal 2.000 bis 3.000 werden. Ich schätze, daß in der Stadt zirka 20.000 BFC-Fans schlummern.


Frank Willmann, Junge Welt, 21.07.2003