Der blanke Hass

Gut wäre es, Unions Profis blieben in der zweiten Bundesliga und - pardon - die Amateure, zurzeit Tabellenletzter, stiegen aus der Verbandsliga ab. Letzteres wäre zwar alles andere als gut für die Profis, dafür aber sehr gut für den Berliner Fußball. Denn dann wäre das "Spiel" BFC Dynamo gegen den 1. FC Union (Amateure)zumindest vorerst aus dem Berliner Sportkalender verbannt. Es sei denn, Glücksgöttin Fortuna hätte bei der Auslosung zum Paul-Rusch-Pokal ein unglückliches Händchen. Es ist der blanke Hass, wenn sich diese beiden Mannschaften gegenüber stehen. Nicht auf dem Spielfeld, sondern auf den Zuschauerrängen - egal in welcher Liga. Fernab jedweden sportlichen Interesses mobilisiert dieses Ostberliner Derby Hunderte, die einzig darauf aus sind, durch schwachsinniges Geschreie den Gegner auf dem Platz und - vor allem - die gegnerischen Zuschauer zu provozieren und zu beleidigen.

Am Sonnabend standen rund 1.000 Dynamo-"Fans" etwa 100 Unionern gegenüber - ein ungleiches Duell in der fünfthöchsten Spielklasse, in der der Vierte auf den Letzten traf. Die Beleidigungen reichten bis hin zum Antisemitismus ("Juden-Union"). Und was sonst noch alles aus dem Dynamo-Block in Richtung Union-Spieler, Union-Reservebank und Union-Zuschauer skandiert wurde, wird an dieser Stelle verschwiegen. Dass sich allerdings einige Union-Spieler nach der Partie auf dem Weg in die Kabine anspucken lassen mussten, ist mehr als ekelhaft. "Die Beschimpfungen seitens der Zuschauer sind unter aller Kanone", sagte Henry Häußler, Trainer der Union-Amateure und vor fünf Jahren Trainer des BFC Dynamo. "Als Zuschauer würde ich hier niemals hingehen." Die Vereine können wenig tun. Zahlreiche Fehlgesteuerte nutzen dieses Derby schlichtweg als Plattform, um auch ihre traditionelle Feindschaft gegenüber dem anderen Verein öffentlich zu machen.

Und der Sport bleibt vollends auf der Strecke. Die Peinlichkeit am Rande: Ein Dutzend Dynamo-Knirpse, das vor der Begegnung an der Hand von Spielern beider (!) Mannschaften ins Sportforum einlaufen durfte, steht kurz vor dem Abpfiff am Zaun der Haupttribüne und kreischt mehrfach "Scheiß Union". Einige Zuschauer amüsieren sich, einige Eltern - immerhin - schimpfen mit dem Nachwuchs, der sich noch nicht einmal die Schuhe selbst zumachen kann. Dahingehend kann und muss der BFC Dynamo etwas tun. Mit wie vielen Kräften die Polizei am Sonnabend bei dieser Verbandsligabegegnung vor Ort war, wollte der Einsatzleiter gegenüber der Fußball-Woche nicht verraten. Nur soviel: Bis eine halbe Stunde nach dem Spiel habe es keine Zwischenfälle gegeben. Die Rauchbombe, die kurz nach der Unioner 1:0-Führung im Dynamo-Block qualmte, hielten die Beamten per Videokamera fest. Ob´s ein Nachspiel heben wird?

Der Verband hat unlängst reagiert, als es im vergangenen Dezember beim Landesliga-Heimspiel der BFC-Reserve gegen den Kreuzberger Verein Hilalspor mehrfach zu offenbar rassistischen Äußerungen von den Rängen gekommen war. Über die Vorfälle gab´s einen Sonderbericht an den BFV. Die Dynamo-Reserve wurde daraufhin zu zwei Heimspielen unter Ausschluß der Öffentlichkeit verurteilt - Geisterspiele in der Landesliga... Und Dynamos Verbandsligamannschaft? Hier weiß der Spielansetzer, dass er immer besondere Sorgfalt walten lassen muss. So kann beispielsweise das aufgrund der Witterung ausgefallene Spiel beim VfB Hermsdorf nicht einfach an einem Mittwochabend unter Flutlicht nachgeholt werden, weil der kleine Kunstrasenplatz in Hermsdorf den Sicherheitsansprüchen von möglicherweise gewaltbereiten Zuschauern nicht genügt. Ach ja: Warum es ferner gut wäre, wenn Unions Profis Zweitligist bleiben. Weil die Köpenicker dann weiterhin drei Klassen höher spielen als Dynamo und beide so schnell nicht aufeinandertreffen.

Ulli Meyer, Fußballwoche, 31.03.2003