Euer Albtraum wird wahr, wir sind wieder da / "Ja, wir würden doch so gerne wieder Deutscher Meister sein": Der Berliner Fußballclub Dynamo ist fußballerischer Mythos und Relikt der DDR

Wie trist hier doch alles wirkt. Vielleicht sähe es besser aus, wenn es ein sonniger und nicht so ein grauer verregneter Tag wäre. Wenn einer der Stürmer des Berliner Fußballclubs Dynamo, kurz BFC genannt, auch mal eine der zahlreichen Chancen nutzen und ein Tor erzielen würde. Aber so? So muss man schon ein ganz hartgesottener Fußballfan sein, um diesem Nachmittag etwas abgewinnen zu können. Anpfiff im Sportforum Hohenschönhausen, tief im Osten Berlins. In der Verbandsliga, der fünfthöchsten Spielklasse, kickt der BFC Dynamo gegen Fortuna Pankow. Etwa 400 Zuschauer sind gekommen. Für eine Partie in dieser Liga ist das sehr ordentlich. Auf der weitläufigen Stehtribüne mit ihren hohen Betonstufen in hässlichem Grau fluchen ein paar Rentner, weil es noch 0:0 steht. Die Musik spielt auf den Sitzplätzen. Hier haben auf den blauen Schalensitzen die Dynamo-Fans Platz genommen, die sich zum harten Kern zählen.

Eine bunte Mischung ist zusammengekommen. Ein paar Hooligans, einige sogenannte Ultras, die nach ihrem Selbstverständnis nicht gewalttätig, wohl aber gewaltbereit sind, die einen oder anderen Erfahrenen, die schon in den für Dynamo goldenen achtiger Jahren jedes Spiel gesehen haben, einige junge Hüpfer, die sich angezogen fühlen von dem Kult, der um Dynamo gemacht wird. Ein paar hundert Meter hinter der Tribüne ist Ost-Berlin noch Ost-Berlin. Wie früher, als der BFC der Vorzeigeverein im Osten war. Hier hinter dem Sportforum gibt es keine schicken Altbauwohnungen wie auf dem Prenzlauer Berg, keine Szenekneipen wie in Mitte. Dafür Plattenbau. Überall. Hohe Häuser, zehn oder 18 Stockwerke. Einst aus grauem Beton, mittlerweile in merkwürdig blassen Farbtönen angestrichen. An manchen Gebäuden steht die Hausnummer in riesigen Ziffern ganz oben an der Hauswand. Wer das schön findet, muss gelernter DDR-Bürger sein.

Der BFC macht weiter Druck. Es ist ein Spiel auf ein Tor. In der zehnten Minute gibt es einen Elfmeter für Dynamo. Verschossen. Die Rentner ärgern sich. Die Fans auf den Sitzplätzen singen: "Ja, wir würden doch so gerne wieder Deutscher Meister sein." Deutscher Meister. Sie waren es schon so oft, die Dynamos in ihren weinroten Trikots. Von 1979 bis 1988 hieß der Champion der DDR immer nur Dynamo Ost-Berlin. Jahr für Jahr. Da werde getrickst, schrieb die Fußball-Fachpresse im Westen. Eine nahe liegende Vermutung, schließlich war Stasi-Chef Erich Mielke leidenschaftlicher Dynamo-Fan, schon bei der Gründungsversammlung des Vereins im Januar 1966 schwenkte er die große Dynamo-Fahne. Andreas Gläser und Steffen Larisch kennen den Vorwurf, der BFC habe seine Meisterschaften nicht sportlich fair errungen, nur zu gut. Beide sind seit mehr als 25 Jahren Dynamo-Fans.

Larisch ist in der Interessengemeinschaft BFCer aktiv, die es sich zum Ziel gesetzt hat, das Überleben des Vereins zu sichern. Gläser, gelernter Bauarbeiter, ist Buchautor. "Der BFC war schuld am Mauerbau" heißt sein Werk. Untertitel: "Ein stolzer Sohn des Proletariats erzählt". Es handelt von Gläsers Jugend in der DDR, vom Gefängnis für politische Häftlinge in Hohenschönhausen, vom Plattenbau, von der Verlockung, in den Westen abzuhauen, und vor allem vom BFC. Seiner großen Liebe. Nein, sagt Steffen Larisch, "Meisterschaften wurden nicht verpfiffen". Na gut, manchmal habe der Schiedsrichter etwas länger spielen lassen, wenn Dynamo hinten lag. Aber Spiele, die bis zur 100. Minute und länger dauerten, die habe es nicht gegeben. Ein Klischee. Eines der vielen. Eine Erfindung der westlichen Medien. Und überhaupt: Dieses ganze Gerede über den BFC, diese ganzen falschen Vorstellungen vom angeblichen Kult-Verein und seinen Fans, die so anders sein sollen, all das stört Larisch und Gläser schon ein bisschen.

Sicherlich, der BFC sei schon so etwas wie der "Verlierer der Wende" im Fußball, sagt Larisch. Nach dem Mauerfall schafften es die Weinroten noch nicht einmal in die Zweite Bundesliga, kickten ein bisschen in der dritthöchsten Spielklasse, manchmal nur vor 16 Zuschauern, wurden durchgereicht in die Oberliga und mussten im November vergangenen Jahres Insolvenz anmelden. Es folgte der Zwangsabstieg in die Verbandsliga. Was liegt da näher als die Vermutung, dass die Fans der Weinroten, den guten alten DDR-Zeiten hinterhertrauern. Dass auch sie zu denjenigen zählen, denen es vor der Wiedervereinigung besser ging. Dass sie in der Mehrzahl in den Hochhäusern von Hohenschönhausen und Marzahn leben, im sozialen Brennpunkt Berlins, um den sich keiner kümmern möchte. "Blödsinn", sagt Larisch. Der Wunsch, wieder in der DDR zu leben, sei bei den BFC-Fans nicht größer als bei den Ostdeutschen, die sich nicht für Fußball interessieren."Wir sind doch auch in der Realität angekommen."

Halbzeit in Hohenschönhausen. Es steht immer noch 0:0. "Eigentlich müssten wir 4:0 führen", meckert einer der älteren Herren auf der Gegengerade des Sportforums. Am Zaun vor der leeren Stehkurve hängt ein Transparent: "Mehr als eine Legende - Danke BFC". Die Legende BFC. Manchmal, sagt Andreas Gläser, gerate man als Dynamo-Fan schon ins Schwärmen von den alten Zeiten. Etwa vom 3:0 über Werder Bremen im Europapokal. 1988 war das. Das Rückspiel n der Weser verlor Dynamo mit 0:5 uns schied aus. "Da stimmte was nicht mit Einstellung der Mannschaft, das Spiel war sehr merkwürdig", erinnert sich Steffen Larisch. "Merkwürdig", ein Wort das die Geschichte des Fußballvereins sehr treffend beschreibt. Merkwürdig ist, dass der verein 1989 noch rund fünfeinhalb Millionen Euro auf dem Konto hatte und heute rund zweieinhalb Millionen Euro Schulden haben soll.

Merkwürdig sind auch die angeblichen Verbindungen zwischen BFC-Fans und einigen Drogendealern, die die Polizei im vergangenen Jahr festgenommen hat. Ebenso merkwürdig wie das Engagement einer berüchtigten Rockerbande, als der Verein nach der Insolvenz im vergangenen Jahr einen Übergangsvorstand brauchte. Und besonders merkwürdig ist die Geschichte um den ehemaligen Dynamo-Spieler Lutz Eigendorf, der sich 1979 in die Bundesrepublik absetzte und vier Jahre später unter mysteriösen Umständen tödlich verunglückte. Manche behaupten, die Stasi habe ihre Finger im Spiel gehabt. Alles sehr merkwürdig. "BFC... der etwas andere Club" heißt es auf der Internet-Homepage der Weinroten. 75. Minute in Hohenschönhausen. Der BFC erarbeitet sich Eckball um Eckball. Die Stürmer vergeigen die besten Chancen, treffen die Latte oder schießen den Torwart aus Pankow an

"Wenn wir gegen die nicht gewinnen, weiß ich auch nicht mehr, wo das enden soll", sagt der Rentner auf der Stehtribüne und zeigt auf ein weiteres Transparent, das in der Kurve hängt: "Euer Albtraum wird wahr, wir sind wieder da". Wieder so eine Provokation. Die BFC-Fans liebten es einfach zu provozieren, sagt Steffen Larisch. Das sei schon immer so gewesen. Und wohl der Hauptgrund dafür, dass bei vielen - gerade im Westen - ein falsches Bild über Dynamo und seine Anhänger entstanden ist. Zum Beispiel in der DDR-Zeit, "als es ein bisschen langweilig war, weil wir ohnehin immer Meister wurden", wie Andreas Gläser einräumt. Der Klub galt als Verein der Bonzen, als Stasi-Mannschaft, als der "Bullen-Verein", wie es Gläser in seinem Buch ausdrückt. Die Bonzen, die Stasi und die Polizei - kurzum: den Staat - zu provozieren, machte den Fans besonderen Spaß.

Und nichts kam in der DDR so schlechten wie rechte Parolen eines pöbelnden Mobs. Also sangen sie: Lieder über die "Reichshauptstadt Berlin", über irgendwelche "Buschneger in Afrika", und manchmal endete ein Schlachtruf sogar mit den Worten: "Wir scheißen auf die DDR". Der Staat reagierte auf seine Weise: Häufig gab es in den Fanblocks wahllose Festnahmen. Und während ausgesuchte Anhänger des Erzrivalen Union Berlin, der als Arbeiter-Klub galt, schon mal zu Europacupspielen ins nichtsozialistische Ausland mitfahren durften, blieb der BFC bei den Partien in Bremen oder Hamburg, in Rom, Aberdeen oder Wien grundsätzlich ohne Zuschauerunterstützung. Auch heute gebe es beim BFC noch ein rechtes Potenzial im Fanblock, räumt Larisch ein: "Aber nicht wesentlich größer als bei anderen Vereinen auch." Wer sich die Herrschaften auf der Tribüne anschaut, mag das bezweifeln.

Zumindest aber gibt es in der Verbandsliga keine Krawalle mehr wie in den vergangenen Jahren und wie auch schon in der DDR-Oberliga, als es regelmäßig gekracht haben muss. "Die Krawalle erledigen sich in der Verbandsliga von selbst. Es gibt ja kaum gegnerische Fans", sagt Larisch. Wohl wahr. Trotzdem ist die Polizei bei jedem Spiel der Dynamos mit mehreren Mannschaftswagen vor Ort. Aber nach wie vor provozieren die Anhänger gern. Jetzt eben mit DDR-Parolen. Manchmal singen sie Lieder, die die Jugendlichen der FDJ immer anstimmen mussten. "Wenn ich groß bin, werde ich Volkspolizist", schallt es dann über die Bolzplätze. Und auf einer Fanseite im Internet gibt es ein Verzeichnis mit Abkürzungen, die in der DDR verwendet wurden. Doch niemand ärgert das wirklich. "Oft lachen sich die Leute schlapp über die Lieder, die wir singen", sagt Larisch. Der BFC Dynamo, sagt Andreas Gläser, sei schon eine "kleine Lebenshaltung".

Der Verein und seine Fans stünden nach wie vor für Ost-Berlin, wo sich wirklich niemand dafür interessiert, wie die Hertha tief im Westen der Stadt gegen Bayern München und Borussia Dortmund spielt. "Wenn ich nicht Toto spielen würde, wäre mir die Erste Liga ziemlich egal", sagt Gläser. Etwas bitter klingt das schon. Klar tue es weh, nun in der Verbandsliga spielen zu müssen, sagt Steffen Larisch, aber nach der Insolvenz "können wir froh sein, dass es überhaupt noch weitergeht. Wenn es uns gar nicht mehr gäbe, das wäre schlimm." Schlußpfiff in Hohenschönhausen. Trotz Chancen, die keiner mehr zählen konnte, hat der BFC kein Tor geschossen, das Spiel endet 0:0. Im Spielbericht auf einer Fanpage heißt es am Tag nach der Partie: "Jede andere Mannschaft hätte hier mindestens fünf oder sechs oder sieben oder noch mehr Tore geschossen. Aber nee, wir sind der BFC."

Georg Leppert, Frankfurter Rundschau, Datum nicht bekannt