Jürgen? Bodo? Andy? Thomas?

Diese beiden Babys haben noch nicht einmal einen Schnuller. Geschweige denn einen Kindergartenplatz. Und auf dem Schwarzweißfoto, das der Arzt gemacht hat, sind sie nur schemenhaft zu erkennen. Im Fall von Abel Jimenez taugt das Ultraschallbild aber immerhin für ein Dokument: Den Mitgliedsausweis des spanischen Fußballclubs Betis Sevilla. Abel kommt erst in fünf Monaten zur Welt - sein Leidensgenosse aus Berlin, Geschlecht männlich, laut ärztlicher Berechnung einen Monat früher. In Berlin bleibt zunächst eine Zeile im Mitgliedsausweis frei, weil die Eltern sich noch nicht auf einen Namen einigen konnten: Jürgen (nach Bogs, dem Trainer, unter dem zehn DDR-Meistertitel errungen wurden) - oder doch lieber Bodo (Rudwaleit, zehnmaliger Meister-Torwart)? "Der Name von unserem ersten Kind muss nichts mit dem BFC Dynamo zu tun haben", sagen Alexander Schmidtchen, 27, kaufmännischer Angestellter, und Silke Riquarts, 21, Kassiererin.

Das zu glauben, fällt schwer. Wer seinem Ungeborenen eine Mitgliedschaft beim BFC verordnet, dafür ab sofort zehn Euro Jahresbeitrag bezahlt, wird auch eine sporthistorisch relevante Benennung des wehrlosen Wesens nicht scheuen. Die armen Kinder? Betis Sevilla ist in der Primera Division eine graue Maus, die sich des Öfteren schon in der Zweitklassigkeit wiederfand. Und der BFC - fünfte Liga, der Club steht im Insolvenzverfahren, dessen Ausgang offen ist. Wer weiß, ob der kleine Bodo? oder Jürgen? oder Andy? (nach Thom, lukrativster Transfer der Vereinsgeschichte) bei der unsicheren Lage je ein Ligaspiel erleben darf im baufälligen Sportforum, wo es nicht einmal einen Wickelraum gibt. Dürfen diese beiden Kinder, deren Schicksal übrigens auch die ersten drei Ziffern ihrer Mitgliedsnummer eint (332 beim BFC, 33.234 beim etwas größeren Klub aus Sevilla), je ihr Herz an einen anderen Verein verlieren?

Was passiert, wenn Abel für Real Madrid schwärmen möchte - oder der kleine Thomas? (nach Doll, auch ein BFC-Idol) seine Eltern plötzlich im Trikot des FC Bayern schockt - als späte Rache für den weinrot-weißen Strampelanzug, den seine werdende Oma auf Bitten der Eltern gerade strickt? Zu vermuten ist, dass es dann nicht bei einer leicht zu verschmerzenden Kinderstrafe (z.B. ein Vereinsausschlussverfahren) bleiben wird - der kleine Abel und sein Berliner Pendant werden vermutlich sofort zur Adoption frei gegeben. PS.: Der Autor dieser Zeilen gab seinem Erstgeborenen den Vornamen Marc Yves, nach Marc Wilmots und Yves Eigenrauch, den Helden von Schalke 04 im UEFA-Cup-Finale 1997 gegen Inter Mailand.

Matthias Wolf, Berliner Zeitung, 22.08.2002