Mielkes liebste Kicker / Der BFC Dynamo ist unbeliebt und pleite - doch seine Fans machen den alten DDR-Verein wieder flott

Rainer Lüdtke ist kein Zombie. Dennoch gucken die Passanten komisch, wenn sie den Fanbeauftragten des BFC Dynamo in Ausübung seines Amtes sehen. "Euch gibt´s noch?", fragen sie dann. "Wieso nicht?", antwortet Rainer Lüdtke. Weil der BFC, einst Fußball-Serienmeister der DDR, für viele seiner Zeitgenossen gestorben ist. Anderthalb Millionen Euro Schulden zwangen Dynamo im November, Insolvenz anzumelden und die Mannschaft aus der Amateur-Oberliga Nordost zurückzuziehen. Doch der BFC lebt an der Basis weiter. Seit Monaten versuchen zwei Dutzend Anhänger, den Klub aus dem Sportforum Hohenschönhausen zu reanimieren. "Was blieb uns auch anderes übrig?", meint der Fan-Beauftragte.

Die für den Finanz-Crash Verantwortlichen haben dem Konkursverwalter weichen müssen. Seitdem pumpt die Basis fleißig Luft in den Fußball: Der BFC gehört jetzt seinen Anhängern. Wie Lüdtke, sind die meisten Fans gestandene Mittdreißiger, die selbst mit Gläubigern verhandeln, um das Insolvenzverfahren bis zum 31. Juli erfolgreich zu beenden. Fast 15.000 Euro spendete die Anhängerschaft, damit der Insolvenzverwalter den Verein nicht aus dem Vereinsregister streichen lässt. Jetzt steht einem Neuanfang in der Berliner Verbandsliga nichts mehr im Wege. "Wir wollen einen glasklaren Neuanfang", betont der Fan-Beauftragte. In seinem Büro im Sportforum erinnern Wimpel und Trophäen an die Glanzzeit der 80er Jahre, als Dynamo sogar im Europacup rotierte.

Heute ist der Alltag grau. "Wir haben keine Lobby in der Wirtschaft oder Politik", sagt Lüdtke. Das Stasi-Stigma von Erich Mielkes Lieblingsklub und Dynamos Hooligan-Image hängen wie Kletten am BFC. Die Fans in Hohenschönhausen sind Ablehnung gewohnt. "BFC-Fan zu sein, bedeutet, Charakter zu haben", sagt Lüdtke trotzig. Die sportive Elitetruppe der SED-Führung genoss schließlich viele Privilegien in der DDR. Wer Volksnähe suchte, pilgerte lieber zum 1. FC Union nach Köpenick, dem Proletarier-Klub. Lüdtke hat sich mit den bis in die Gegenwart reichenden Konsequenzen abgefunden: "Wir sind ein Verein, der keine freunde hat." Nach dem Mauerfall galt es als cool, das weiße "D" auf weinrotem Untergrund zu tragen.

Vor allem junge Mittelstandskinder fühlten sich magisch zu den Dynamos hingezogen. "Wir waren unbeliebt und provokativ", sagt Lüdtke, der seit 25 Jahren zum BFC geht. Auch das Gewalt-Problem auf den Rängen ist für ihn kein neues Phänomen: "Hooligans hießen in der DDR Rowdies. Wir versuchen, mit diesen Leuten zu reden und sie einzubinden in den Verein." Bis zum Neustart in der Verbandsliga bleibt viel zu tun. Um den Wiederaufstieg in die Oberliga zu schaffen, planen die Fans eine Rückholaktion für ehemalige BFC-Spieler, die vor zwei Jahren im Sportforum Platz machen mussten. Sie waren von der damaligen Vereinsführung vergrault worden. Die setzte nämlich auf große Namen aus Rumänien oder Brasilien und versuchte so den Einzug in die Regionalliga zu erzwingen.

Sogar eine Kooperation mit Namensvetter Dynamo Moskau brachte er ins Gespräch. Ein Hirngespinst, wie sich letztlich herausstellte. "Bei uns wird es keinen Platz mehr geben für Größenwahnsinnige und Profilneurotiker", verspricht Lüdtke. Einen Coach haben sie für den Neuanfang schon gefunden: Dirk Vollmar, 30, ein Dynamo-Kicker aus der Meister-Elf von 2001 und Anfänger auf der Trainerbank. Der frühere Offenbacher scheint die Ideallösung zu sein: Er arbeitet ehrenamtlich und hatte mit der alten Dynamo-Connection nie etwas am Hut. Bis der Ball wieder ins Rollen kommt, beackern die Fans das Umfeld. Sie installieren Sitzschalen im maroden Stadion in Hohenschönhausen. Das Sahnehäubchen wird ein neues Vereinsheim sein, das in Eigenregie geführt werden soll - zur Auffrischung der leeren Klubkasse, die von einem internen Schatzmeister verwaltet wird.

"Der BFC ist ein Verein, der von den Fans wieder hochgebracht wurde", lobt Mike Peters die monatelange Eigenarbeit an der Basis. Der 30-jährige Chef einer privaten Arbeitsvermittlung ist seit Ende Mai neuer Präsident des BFC. Wie der Trainer, so ist auch Peters den Dynamo-Headhuntern ins Netz gegangen. "Ich war vorher kein BFCler. Die Fans haben gefragt, ob ich den Posten nicht übernehmen wolle", erzählt Peters. Eine reizvolle Aufgabe für den Jungdynamiker: "Auch ich habe meine Firma aus dem Nichts aufgebaut." Seinen Funktionärsjob interpretiert der Präsident bewusst basisnah: "Ich weiß, die Fans schauen mir auf die Finger. Aber welches Geld soll ich unterschlagen, es ist ja meines."

Jürgen Schulz, Zitty, 14/2002