"Das Wasser steht uns an der Unterlippe" / Jürgen Bogs zum Niedergang des BFC

Herr Bogs, wie würden Sie die Situation beim BFC Dynamo beschreiben?
Bogs:
Ein bisschen chaotisch.

Sie untertreiben.
Bogs:
Ja, weil mein Herz dem BFC Dynamo gehört.

Wie war die Atmosphäre am Sonnabend, als Sie 3:1 im Paul-Rusch-Pokal bei Nord Wedding gewannen?
Bogs:
500 Dynamos haben uns gefeiert, obwohl wir eine Rumpftruppe aufgeboten hatten. Unser Torwart Nico Thomaschewski musste sogar Libero spielen. Fans und Freunde des Vereins waren es ja letztlich auch, die 30.000 Mark bereitgestellt haben, damit zumindest das Insolvenzverfahren eröffnet und der Sturz in die Kreisliga abgewendet werden kann. Ich habe noch Hoffnung. Dass diese zwei angeblichen Gruppen von Sponsoren, mit denen verhandelt wird, das Geld bringen, um nach dem Zwangsabstieg einen vernünftigen Neuanfang in der Verbandsliga zu starten.

Angeblich kann sich der BFC keinen teuren Trainer wie Sie mehr leisten.
Bogs:
Es sind nur noch drei Tage, dann sollen wir alle unsere Kündigungen bekommen. Doch man redet nicht mit uns. Die Mitgliederversammlung wurde auf Ende November terminiert, statt sofort zu reagieren. Das passt zum Missmanagement: Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt. Sieben Millionen Mark Verbindlichkeiten verdeutlichen das.

Sie haben monatelang kein Gehalt bekommen - sind aber geblieben.
Bogs:
Ich hatte heute einen Anruf. Ich könnte was Anderes machen - aber ich glaube an den BFC. Es gibt immer Wege, ich würde auch bleiben - ich will nur eine Perspektive sehen.

Für Sie muss die Situation besonders hart sein: Sie haben den BFC zu zehn Meistertiteln in der DDR geführt.
Bogs:
Und zu über 50 Europapokalspielen. Wir waren einer der erfolgreichsten Klubs in Europa. Es tut weh, wenn alles so den Bach runtergeht.

Welche Chancen sehen Sie noch?
Bogs:
Einem Jahr Verbandsliga muss der Aufstieg folgen, sonst werden wir vom Erdboden verschluckt.

Dabei schien auch nach der Wende das Feld bestellt zu sein.
Bogs:
Da lagen zwölf Millionen auf dem Konto: 3,8 Millionen gab es für Andy Thom, zwei Millionen für Thomas Doll, eine Million für Hendrik Herzog, 800.000 Mark für Rainer Ernst - nichts wurde daraus gemacht.

Was lief schief?
Bogs:
Ich weiß nicht, wer sich da bereichert hat. Ich weiß nur: Jetzt steht uns das Wasser an der Unterlippe.

Wie bedeutsam für den Niedergang war das Image des Stasi-Vereins?
Bogs:
Es wurden viele Fehler gemacht, aber wir haben auch keine Chance bekommen - weder im Osten noch im Westen. Neulich hat der Reporter im Fernsehen beim UEFA-Pokalspiel gegen Valkeakoski wieder gesagt, wie schlimm es doch sei, dass Union im Stadion des verhassten Stasi-Nachbarn spielen muss. Kann man das nicht endlich ruhen lassen? Wir haben im Europapokal so viel getan für Berlin, zumindest für Ost-Berlin, das sollte man würdigen. Wenn jetzt weiter auf uns herumgetrampelt wird, stehen wir nie mehr auf.

Matthias Wolf, Berliner Zeitung, 29.10.2001