Wildwest / Präsidentin Seidel-Kalmutzki tritt zurück, vier Millionen Mark Schulden drücken

Immer wieder wurden Durchhalteparolen hinausposaunt. "Ich kann's nicht mehr hören", sagt Karin Seidel-Kalmutzki. "Es ist mindestens fünf vor zwölf." Die Präsidentin des Fußball-Oberligisten BFC Dynamo zog ihre Konsequenzen: Die 40-jährige trat gestern von ihrem Amt zurück. Der DDR-Rekordmeister, der mittlerweile in der Viertklassigkeit kickt, steht dicht vor der Pleite. Die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) hat nach Aussage von Dynamos Manager Hans Reker am vergangenen Donnerstag gegen den Klub einen Insolvenzantrag eingereicht. Der BFC muss nun bis zum 2. Juli 126.000 Mark an Krankenkassenbeiträgen aufbringen. Wird das Insolvenzverfahren nach diesem Termin eröffnet, steht der BFC Dynamo in der kommenden Oberliga-Saison als Absteiger in die Verbandsliga fest. Insgesamt drücken den Oberligisten vier Millionen Mark Verbindlichkeiten. Der Rücktritt Seidel-Kalmutzkis kam nicht überraschend.

Zu offensichtlich waren die Diskrepanzen zwischen ihr und Manager Reker. "Die Situation wurde immer dramatischer", sagt sie. "Wir haben nicht an einem Strang gezogen. Der ernsthafte Wille, die finanziellen Probleme zu lösen, hat gefehlt, es gab immer nur Vertröstungen." Seidel-Kalmutzki, die vor neun Monaten erst das Präsidentenamt übernommen hatte, wurde der Blick in Spieler- und Sponsorenverträge verwehrt. Das wurde ihr sogar schriftlich mitgeteilt, unterschrieben von Marketing-Direktor Günter Haake. "Einige haben immer noch nicht den Ernst der Lage erkannt", sagt sie. "Ich aber will den Spielern weiter in die Augen gucken können." Einige von ihnen haben seit Januar kein Gehalt bekommen. Stattdessen händigte der Klub seinen Spielern ungedeckte Schecks aus. Die Pleite des Traditionsvereins ist kaum noch abzuwenden. Auch wenn sich Manager Reker da ein wenig anders ausdrückt: Eineinhalb Millionen Mark Schulden habe der Klub.

Die restlichen Gelder seien "langfristige Darlehen". Wo auch immer der Unterschied liegen mag. Zu Saisonbeginn hatte Reker die Verbindlichkeiten auf eine Million Mark beziffert. Dynamo hat in der Oberliga somit drei Millionen Mark Miese erwirtschaftet. Nun müssen kurzfristig 400 000 Mark aufgebracht werden, um neben den Gehältern auch Krankenkassen- und Versicherungsgelder zahlen zu können. Sonst droht die Insolvenz. Reker aber sagt: "Das Insolvenzverfahren wird nicht eröffnet. Wir werden die 126.000 Mark an die AOK zahlen." Aber: "Noch haben wir das Geld nicht." Treibt Reker diese Summe nicht auf und vorausgesetzt das Insolvenzverfahren wird nach dem 2. Juli vom Amtsgericht eröffnet, kann es in der Oberliga zu einer kuriosen Situation kommen. Der BFC Dynamo spielt um den Aufstieg, steht aber bereits als Absteiger in die Verbandsliga fest.

So steht es in den neuen Gesetzen des Deutschen Fußball-Bundes: Wird gegen einen Verein ein Insolvenzverfahren eröffnet, rutscht der Klub am Saisonende automatisch auf den letzten Tabellenplatz und steigt ab. Dieses Gesetz tritt am 1. Juli in Kraft, an einem Sonntag. Dynamo hätte nach Aussage des Oberliga-Staffelleiters Bernd Wusterhausen daher bis zum darauffolgenden Werktag Zeit. Wird das Verfahren vor dem Stichtag eröffnet, bleibt Dynamo nach den alten Regeln in der Oberliga. Die Chancen auf Rettung stehen deshalb nicht besser: Der Antrag wird derzeit erst geprüft. Zwei Wochen dauert der Vorgang, das Verfahren würde nach dem Stichtag eröffnet werden. Dynamo stünde als erster Absteiger fest.

Eine Alternative gibt es nicht: Verschleppt Dynamo die Insolvenz, macht sich der Verein strafbar. "Das Präsidium steht in einer zivil- und strafrechtlichen Verantwortung", sagt Seidel-Kalmutzkis Rechtsanwalt Peter-Michael Diestel, ehemaliger Präsident des Bundesligisten Hansa Rostock. Er hatte Einblick in einige Unterlagen. "Ich habe auf die totale Verschuldung hingewiesen", sagt Diestel. "Der BFC Dynamo ist zahlungsunfähig. Dort haben einige Wildwest gespielt." Frank Rohde, der in den Achtziger Jahren mit dem BFC im Europacup gespielt hat, ist enttäuscht vom Niedergang seines Klubs. "Die Führung hat nach der Wende all die Transfereinnahmen gehabt. Aber vermutlich hat sie einfach immer weiter über ihre Verhältnissen gelebt", sagt Rohde. Manager Reker, der selbst noch Honorare in Höhe von 150.800 Mark erhält, sagt nun: "Mein Vertrag kann jederzeit gekündigt werden."

Andre Görke, Tagesspiegel, 26.06.2001