| Mit einem Lächeln auf den Lippen schwebte er über den Rasen. Mit einem leichten Schritt, der nur Siegertypen gegeben ist, lief er zur glücklichsten Halbzeitpause seiner jungen Karriere im Trikot des BFC Dynamo: Adeck Mba. Der Mittelfeldakteur des Hohenschönhausener Vereins hatte nach den ersten 45 Minuten den Zeige- und Mittelfinger zum Victory-Zeichen geformt. Es stand 1:1 im Ernst-Grube-Stadion zu Magdeburg, zu diesem Zeitpunkt war der BFC in die Regionalliga aufgestiegen. Weitere 45 Minuten später schlich der selbe Fußballer mit gesenktem Kopf und Tränen in den Augen vom Spielfeld. Mit einem trägen Gang, wie ihn nur Verlierer kennen. Sein Team hatte versagt.
2:5 stand es nach dem heißesten Kick der Saison aus Sicht des 22-Jährigen. Und während die Fans des 1. FC Magdeburg im Freudentaumel versanken, rangen die rund 2000 mitgereisten Anhänger der Berliner um Fassung. Gute Verlierer waren sie dabei allerdings nicht. Die Enttäuschung über den verpassten Aufstieg schlug sekundenschnell in offene Aggressionen um, die Provokationen der heimischen Sieger taten ihr übriges. So waren die Hundertschaften der Polizei und des Bundesgrenzschutzes gefordert, Steine flogen und am Rande der Szenen suchte BFC-Präsidentin Karin Seidel-Kalmutzki einsam nach Antworten. Auf Fragen, die noch keiner gestellt hatte, die sich aber in den Köpfen der Klub-Angestellten nicht mehr verdrängen ließen.
Die stilsicher in weinrot-weiß gekleidete Vereinschefin hatte sich am Spielfeldrand einen Platz auf der Bank gesucht. Nah dran. Ganz nah hatte sie so die Wirren dieser einen Partie erlebt, die ein Wechselbad der Gefühle bedeutete. Zweimal hatten ihre Akteure einen Rückstand aufgeholt, zweimal für kurze Zeit die Finger an der imaginären Schale gehabt. Doch dann - es war die 72. Minute - brach die Fußball-Welt der entsetzten Präsidentin zusammen. Wie ein Kartenhaus stürzte das kleine Glück, dass man sich während einer Saison so mühevoll erarbeitet hatte, ein. Ivanovic erwies sich als Spielverderber, als er in jenen für die Berliner schrecklichen Sekunden vor dem Tor von Nico Thomaschewski auftauchte und das Spielgerät in dessen Maschen versenkte.
"Da ahnte ich, dass es vorbei ist. Nach der gelb-roten Karte von Florin Batrinu (73.) wusste ich es", gab Trainer Jürgen Bogs danach einen Einblick in seine Gefühlswelt. Die war nach dem K.o. für seine Truppe ähnlich konfus, wie die der Klubchefin. Bilder tauchten vor deren geistigem Auge auf, von den Anstrengungen, dem Verein ein besseres Image zu geben. Von den Siegen ihrer Mannschaft, die jetzt nicht mehr das Papier wert sind, auf dem sie vermerkt wurden. Von den ewigen Sorgen um Geld. Zwar weiß auch der sportliche Sieger Magdeburg nicht, woher er bis morgen die notwendige vier Millionen Bürgschaft nehmen soll, doch irgendwie wird es weiter gehen. Auch in Hohenschönhausen. Wo gestern das Stadion verlassen war und das verregnete Wetter zum Gegensatz der Sonne am Vortag im Bördeland sein übriges zur schlechten Stimmung beitrug.
Traurig sieht sie aus, die Präsidentin, die zu Beginn der Saison noch Träume hatte und nun erkennen muss, in einer Sackgasse angekommen zu sein und wieder bei Null anfangen muss. Mit allem. Der Trainer muss nach dem Weggang von 14 Spielern eine neue Truppe aus dem Boden stampfen. Sportdirektor Hans Reker und Marketing-Chef Günther Haake müssen den Sponsoren ein neues Jahr in der alten Liga erklären. Und Kapitän Jörn Lenz muss erkennen, seine letzte Chance verpasst zu haben. Auch für Keeper Thomaschewski, der aschfahl war, als er letzten Ball aus dem Netz fischte, ist die Zeit wohl abgelaufen. Für Adeck Mba dagegen noch nicht. Er will es noch einmal probieren. "Im nächsten Jahr", sagt er und lächelt unsicher. Doch vorher muss er wieder über Dörfer tingeln, Staffelsieger werden und Sekunden überstehen, die eine ganze Saison entscheiden.
Diana Becht-Zwetkov, Berliner Morgenpost, 11.06.2001
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