| Am Sonnabend um 21.20 Uhr klingelte das Handy von Karin Seidel-Kalmutzki. Die Miene der Präsidentin des Berliner FC Dynamo verfinsterte sich. "In der Schönhauser Allee sind Wasserwerfer im Einsatz. Mein Sohn ist mitten hineingeraten", sagte sie und zündete sich nervös eine Zigarette an. Es war der Moment, als der 3:0-Sieg des 1. FC Union über den alten Rivalen im Paul-Rusch-Pokal kaum noch interessierte. Alle blickten nur noch durch die Fenster des Presseraums im Jahnstadion auf die Blaulichter: In Sichtweite hatten die gefürchteten Hooligans des BFC eine Straßenschlacht initiiert, bei der es neun Verletzte gab. Ein schwerer Rückschlag für Dynamo und die SPD-Politikerin Seidel-Kalmutzki, die um eine Imageverbesserung des Vereins kämpft, der laut Experten das größte Fan-Gewaltpotenzial hier zu Lande besitzt.
Seidel-Kalmutzki war "total traurig", weil Randalierer in einer Stunde viel von ihrer Aufbauarbeit wieder zerstört haben. Trainer Jürgen Bogs sprach von "sinnloser Gewalt, die wieder einmal auf den Verein zurückfallen wird". Alles war voraussehbar. Kurz vor Spielende postierte sich ein Großaufgebot der Polizei vor dem BFC-Block. Unverständlich blieb, warum dann von Ordnungshütern Transparente abgerissen wurden, die niemanden gestört hatten. BFC-Anhänger kletterten wutentbrannt auf die Zäune. Seidel-Kalmutzki und Union-Präsident Heiner Bertram sagten unisono: "Die Polizei hat provoziert." Laut Bogs "war das Polizeiverhalten der Auslöser für die Randale". Es flogen nach dem Spiel auf dem Stadiongelände Feuerwerkskörper und Farbtöpfe auf Beamte.
Die Polizei setzte Schlagstöcke ein. Die Sicherheitskräfte im Jahnsportpark gerieten in die Kritik: Statt die BFCler nach dem Schlusspfiff erst einmal im Block zu belassen, wurden die Unioner angewiesen, noch zu bleiben. Nicht nur, dass diese unter den 4 427 Zuschauern deutlich in Unterzahl waren, als Sieger waren sie nach anfänglichem Unmut (viele hatten den Anpfiff wegen schleppenden Kartenverkaufs verpasst) auch besser gelaunt. Ein taktischer Anfängerfehler: So konnten die Weinroten vor den Stadiontoren auf die Rot-Weißen warten. Teilweise sollen vom BFC eingesetzte Ordner sich ihrer Jacken entledigt und mit auf die Unioner eingeprügelt haben, die meist flüchteten.
Seidel-Kalmutzki erhebt schwere Vorwürfe gegen die Polizei: "Ich habe Beamte gesehen, die sich abgeklatscht haben, bevor sie zu unseren Fans gingen - so als würden sie sich auf ein Duell freuen. Ich wollte mit dem Einsatzleiter sprechen, doch das wurde mir verweigert." Auch der Berliner Fußball-Verband wird sich einige Fragen gefallen lassen müssen: Warum wurde abends gespielt, wenn Randalierer den Schutz der Dunkelheit nutzen können? Und warum an einem Wochenende, an dem die Profiligen Pause hatten und viele Hooligans aus der ganzen Republik nach Berlin pilgerten? Dieses Spiel wird sicherlich ein Nachspiel auf politischer Ebene haben. Dafür wird Seidel-Kalmutzki sorgen.
Was bleibt, sind sportliche Randgeschichten: Als sich draußen 500 Hooligans mit der Polizei prügelten, Flaschen und Steine flogen, stand Daniel Teixeira im kalten, zugigen Kabinentrakt und gab Interviews. Erneut hatte der Brasilianer zwei Tore erzielt, er kommt somit auf zehn Treffer in sieben Pflichtspielen. Diesmal waren es die entscheidenden Abschlüsse in der 70. und 77. Minute, denen Steffen Menze noch das 3:0 folgen ließ (86.). "Ich widme diese Tore unseren Fans", sagte Teixeira erstaunlich gut informiert, "denn ich weiß um die Rivalität mit Dynamo aus DDR-Zeiten." Über seine Zukunft wollte die Leihgabe aus Uerdingen wieder keine Angabe machen, allerdings verriet Präsident Bertram, dass er bemüht ist, Teixeira über den Sommer hinaus zu binden.
Auch, und das ist neu, bei einem Verbleib in Liga drei. Verhandlungen laufen bereits. "Teixeira ist erfolgreich, er passt zu uns, jetzt wird gepokert", sagte Bertram: "Uerdingen wittert seine Chance, an ihm zu verdienen." Gegen den BFC machte der Stürmer den Klassenunterschied aus. Er nutzte zwei kapitale Abwehrfehler in einem lange ausgeglichenen Spiel. "Das ist ein Torjäger von einer anderen Klasse als wir sie in der Oberliga kennen", befand BFC-Kapitän Jörn Lenz. Für Bertram war der Sieg, obwohl erst Achtelfinale, wertvoll wie ein Titel. "Jetzt müssten wir eigentlich den Pokal gewonnen haben. Es sollte nun ein leichter Weg sein." Da ahnte er noch nicht, dass hirnlose Krawallmacher dabei waren, alle Freude zu zerstören.
"Zu einem Verein gehören auch seine Anhänger. Der BFC muss dringend etwas gegen diese Gewalttäter tun. Solche Leute haben beim Fußball nichts verloren." Union-Präsident Heiner Bertram: "Der BFC ist der einzige Viertligist mit hauptamtlichem Fanbeauftragten. Wir haben alles Menschenmögliche für ein friedliches Fußballfest getan. Doch unsere Bemühungen wurden konterkariert." Karin Seidel-Kalmutzki, Dynamo-Präsidentin "Es war eine herrliche Kulisse für einen schönen Fußball-Abend. Ich verstehe manche Leute nicht: Warum kann man mit diesem Gefühl nicht friedlich nach Hause gehen?"
Matthias Wolf, Berliner Zeitung, 26.03.2001
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