Eine Frau für alle Fälle

Zum Glück ist der Todfeind heute weit weg. Am Eingang des Stadions in Eberswalde fordert ein BFC-Anhänger "Zyklon B für alle Unioner". Aber die spielen unerreichbar in der dritten, der nächsthöheren Liga. Eine blonde Frau steht ganz in der Nähe des Fans und schaut hart nach unten auf die grauen Steinplatten. Das wird sie an diesem Tag noch öfter machen. Die Schultern nach vorn geklappt, den Blick konzentriert auf den Boden gerichtet, versucht Karin Seidel-Kalmutzki unsichtbar zu werden. Immer, wenn irgendwas passiert, das sie eigentlich nicht hören will, nicht sehen will, wird sie lächeln. Seit September ist Karin Seidel-Kalmutzki die neue Präsidentin vom BFC Dynamo, die erste Frau an der Spitze eines Vereins in der Berliner Fußballgeschichte.

Das Spiel hat noch nicht begonnen, die Fans singen im Chor: "Dy, Dy, Dy -na-mo. Ein Schuss, ein Tor, Dynamo." Auswärtsspiel von BFC Dynamo bei Motor Eberswalde. Nebenan im Sportzentrum ist "Life-Erotik-Messe", im Stadion wird die Schlange vor dem Bierstand immer länger. Die Spieler laufen ein. Karin Seidel-Kalmutzki stellt sich auf die Seite der Eberswalder, weil da eine Tribüne ist und es Sitzplätze gibt. Sie ist 40, trägt einen schwarzen Ledermantel, Pumps, Handtäschchen, eine große Sonnenbrille und blondierte Haare. (...) Anpfiff. Ab und zu lächelt die Präsidentin, wenn den BFC-Spielern ein Angriff gelingt, und presst ihre Lippen zusammen, wenn es rückwärts zum eigenen Tor hin geht. Ihre Mimik wird von den Fans sehr genau beobachtet. (...)

"Warum sind Sie nicht im Fanblock?" fragt ein BFCler von hinten. Ihr Kopf schwingt zu ihm: "Ich war da schon oft, so ist das nicht." Eine Antwort ist das eigentlich nicht. Und sie weiß es. Sie wirkt wie in der permanenten Defensive. Je länger man sie beobachtet, um so mehr fragt man sich, warum sie hier ist. (...) Also, warum ist sie die neue Präsidentin vom BFC? "Weil ich gefragt wurde", antwortet sie. Vieles in ihrem Leben scheint einfach so über sie gekommen zu sein und sie hat dann nur noch zugreifen zu müssen. Sie sitzt als einzige Vertreterin der SPD Hohenschönhausen im Berliner Abgeordnetenhaus. Zur Politik kam sie, weil es in ihrer Nähe keinen Fußgängerüberweg für Schulkinder gab, da hat sie sich eingesetzt.

Zur SPD kam sie, weil ihr deren Stadtrat imponiert hat, da ist sie zu den Versammlungen gegangen. (...) "Einer muß es ja machen", sagt sie. Dieser Satz könnte wie ein Leitmotiv über ihrem Leben schweben. Vor zwei Jahren wurde sie schließlich gefragt, ob sie nicht in den Wirtschaftsrat des BFC wolle. Und da der BFC ein Hohenschönhausener Klub ist, also in ihrem Wahlbezirk liegt, stimmte sie auch da zu. (...) Es ist wohl eine Mischung aus nicht Nein-Sagen-Können, diffusem Pflichtgefühl und ein wenig Geltungsdrang, dass sie immer wieder in die Situation bringt, Posten anzunehmen, die sie eigentlich gar nicht angestrebt hat. Oder vielleicht doch? Frau, blond, SPD beim BFC - das war eine kleine Sensation oder eine "kleine Bombe", wie der Fanbeauftragte es nennt.

Karin Seidel-Kalmutzki tupft sich mit dem Taschentuch die tränenden Augen und schüttelt den Kopf: Sie habe nicht geahnt, was für einen Aufruhr ihre Wahl entfachen würde. Ein Fernsehteam hat sie gefragt, wie eine Linke den als rechtsradikal verrufenen Verein führen könne? Seidel-Kalmutzki hat ihn böse angeschaut, auf das Linkssein ist sie nicht weiter eingegangen, den Vorwurf, die Fans seien rechtsextrem, hat sie zurückgewiesen. (...) Am 3. Oktober zum Beispiel haben BFC-Fans in ihrem Café einen "Tag der Germanen" veranstaltet. (...) Am nächsten Morgen wurde sie von der linksalternativen "taz" aus dem Bett geklingelt, sie solle Stellung beziehen. Die Grünen stellten eine Anfrage im Abgeordnetenhaus.

Plötzlich musste sich Seidel-Kalmutzki verteidigen. Das macht sie seitdem pausenlos. Zur Zeitung sagte sie: dass sie sich von Rechtsradikalismus distanziere, und dass es der falsche Zeitpunkt für eine solche Feier gewesen sei. Damit wollte sie niemandem wehtun. Bei den Fans kam es trotzdem so an, wie: "Ich distanziere mich von euch." "Die will sich ja nur auf unsere Kosten profilieren", sagte einer von ihnen. Danach war viel "Versöhnungsarbeit" nötig. Die Wochenenden verbringt die Präsidentin nun immer auf dem Fußballplatz, egal ob Heim- oder Auswärtsspiel. Und die Fans hat sie in ihrem Café besucht, mit ihnen bis in die Nacht Bier getrunken und Frieden gestiftet. (...)

Sie will ein neues Image für den Klub, kann das aber nicht ohne die alten Fans, ohne die Vergangenheit erreichen. Sie sind das Einzige, was der BFC noch hat. Totale Distanz wäre tödlich. Also lächelt sie, auch wenn ihr eigentlich nicht nach Lächeln ist. Redet, wenn sie lieber schweigen sollte und schweigt, wenn sie reden müsste. Später in Eberswalde sieht es gut aus für den BFC. (...) Die Präsidentin unternimmt einen Spaziergang in Richtung Fanblock. "17 Jahr´, blondes Haar..." schallt es ihr entgegen. Und "Ausziehen, ausziehen!", fordern die Fans. Karin Seidel-Kalmutzki lacht wieder, und man weiß nicht, ob aus Scham, Verzweiflung oder wirklichem Amüsement.

Ein Betrunkener mit mehreren Plastikbechern voller Bier in der Hand wankt auf sie zu und umarmt sie. "Wir schaffen das", brüllt er ihr ins Ohr. Sie nickt kurz und eilt zurück in Richtung Tribüne. Dass ihre Partei, die SPD, bei den BFC-Fans nicht gerade angesagt ist, weiß sie. In der Halbzeit kommen zwei Kurzhaarige auf sie zu. Der eine sagt zum anderen: "Eh, das ist unsere neue Präsidentin, die kennst du noch nicht." "Nee", sagt der andere, "ich war ja im Knast." Dann lachen sie sich schlapp. Zum Schluss brüllt der, der im Knast gesessen haben will, Seidel-Kalmutzki hinterher: "Sozischlampe, Sozischlampe". Die Präsidentin konzentriert sich wieder auf den Boden vor ihr und murmelt :"Ja, ja". (...)

Jana Simon, Der Tagesspiegel, 21.11.2000