Nur ein Knallfrosch / BFC Dynamo - Türkiyemspor. Die Genese eines »ganz normalen« Fußballspiels

Am letzten Sonnabend erstürmte der BFC Dynamo mit einem 3:0-Sieg über Türkiyemspor Berlin die Spitze der Oberliga. Für immerhin 24 Stunden hatte er den Platz inne, auf den er noch in den 80er Jahren ein Abonnement besaß. Verantwortlich für die Mannschaft damals wie heute: "Meistertrainer" Jürgen Bogs. Es gibt jedoch einen gravierenden Unterschied: Seinerzeit war die Oberliga die höchste Spielklasse des DDR- Fußballs, heute bedeutet das Viertklassigkeit. Der DDR-Rekordmeister ist weit unten angekommen. Nach 1989 schlug sich der BFC - auch in Folge merkwürdiger Vereinigungsmodalitäten - über zehn Jahre mehr schlecht als recht in der dritten Liga, bis er am Ende der Vorsaison weiter abstürzte. Weniger durch sportliche Erfolge als vielmehr durch die Entgleisungen seiner Fans fiel der Club in den letzten Jahren auf - zuletzt im Mai 1999, als im Finale des Berliner Paul-Rusch-Pokals BFC-Hools rassistische Parolen grölten ("Wir bauen euch eine U-Bahn nach Auschwitz") und die Spieler des Kontrahenten Türkiyemspor tätlich angriffen.

Fans eines Fußballclubs sind jedoch per se politisch unkorrekt: Beschimpfungen und Beleidigungen des Gegners und seiner Anhänger gehören eben dazu. Otto Schily, der sich unlängst nach dem Besuch eines Fußballspiels über das Auspfeifen der gegnerischen Mannschaft mokierte, erntete zurecht nur Gelächter. Beim BFC-Anhang ist die politische Unkorrektheit sozusagen Programm. Das Programm der Fans ist jedoch gleichzeitig das Problem des Vereins. Neben dem Image des Ex-MfS-Clubs hängt dem Hohenschönhausener Verein an, Hort dumpfbackiger Schläger und rechtsextremistischer Vorsinger zu sein. Clubführung wie Hauptsponsor Lipro versuchen jedoch, dem schlechten Ruf entgegen zu arbeiten. Trainer Bogs durfte ein halbes Dutzend ausländischer Spieler verpflichten - darunter mit dem schwarzen Mittelfeldspieler Macalé der einzige im BFC-Ensemble, der wirklich höheren Ansprüchen genügt.

Für die hartgesottenen Neonazis unter den Dynamo- Fans ein Schlag ins arische Gesicht. Die neue Präsidentin, die SPD-Politikerin Seidel-Kalmutzki, beschwört stets die völlige "Normalität" ihres Clubs. Vor dem brisanten Spiel gegen Türkiyemspor ergriff auch Mannschaftskapitän Jörn Lenz das Wort: "Ich denke, wir beim BFC mit Spielern aus Polen, Rumänien, Rußland und Brasilien sind ein gutes Beispiel dafür, wie das Zusammenleben verschiedener Nationalitäten funktionieren kann." Und auch der Fanbeauftragte des BFC hielt den Ball extrem flach: "Es ist ein Spiel wie die anderen davor auch." Und dann: 1.200 kamen ins Sportforum - die größte Kulisse in dieser Saison. Doch was andernorts für Freude gesorgt hätte, rief zunächst Unruhe hervor. Vor dem Spiel forderte der Stadionsprecher die Zuschauer auf, sich von einigen, die sonst nur selten im Sportforum zu sehen seien, nicht provozieren zu lassen. Anhänger von Türkiyemspor konnten nicht gemeint sein: Keiner hatte sich nach Hohenschönhausen verirrt. Im Gästeblock gammelten lediglich Polizisten herum - die schienen alle da zu sein.

Doch bereits ein flüchtiger Blick ins weite Rund ergab: Gegen Türkiyemspor, in der NOFV-Oberliga Nord nur Mittelmaß, weilte auch mancher im Stadion, dem man andernorts nicht gerne begegnet wäre. Es schien also doch angerichtet für ein neues Kapitel in der unendlichen Geschichte des schlimmen BFC und seiner noch schlimmeren Fans. Jedoch: Es geschah nichts, was des Skandalreporters Herz zum Hüpfen hätte bringen können: keine rassistischen Sprechchöre, keine Beschimpfungen der Türkiyemspor- Spieler, die über das Normalmaß auf einem Fußballplatz hinausgingen. Ein Silvesterknaller landete auf der verwahrlosten Aschenbahn - mehr war nicht. Überhaupt war die Stimmung eher lau: etliche "Dynamo, Dynamo"-Gesänge, nur hin und wieder laut vorgetragene Meinungsäußerungen einzelner Fans, darunter Obskures wie "Die Nazis und die Tühürken, das sind die größten Gühürken" oder die Ode an einen höchst durchschnittlichen BFC-Stürmer: "Markus Aerdken - Fußballgott". Der Gottesanbeter nahm sich auf den Einwurf seines Nachbarn, daß er jetzt doch etwas übertreibe, auch gleich zurück: "Naja, aber saufen tut er jut!"

Nichts besonderes also. Vielleicht schafft es der BFC doch noch, zu einem "ganz normalen" Fußballclub zu werden. Die anwesenden Polizisten traten nach dem Spiel schließlich auch noch die Rechtfertigung ihrer massiven Präsenz an: Das Stadion war schon fast leer, da griffen sie sich mutig einen am Bratwurststand wartenden BFC-Fan - wohl den Knallerwerfer - und zerrten ihn zu ihrem Einsatzwagen. Darob verärgerte BFC-Anhänger spülten später ihren Kummer in der Fankneipe, dem "Berliner Fußball-Café", herunter und pinkelten spätestens nach dem dritten Bier auf einen anderen Feind, den 1. FC Union: In den Pissbecken der Kneipe kleben Union-Logos. Das ist zwar ein reichlich blöder Witz, aber man muß schon Otto Schily heißen, um eine solche Entäußerung des Fandaseins zu beanstanden.


Konrad Bayer, Junge Welt, 15.11.2000