| Der Mann dort hinten in der vorletzten Reihe, ja, der unauffällige dort am Rand, das ist einer der erfolgreichsten deutschen Fußballtrainer. Anderswo hieße so einer wohl "Meistermacher", verströmte eine Aura wie Hitzfeld und Rehhagel zusammen und säße ganz vorn unter seinem eigenen Altar. Doch dieser hier hat letztes Jahr die TSG Neustrelitz trainiert, davor Kickers Emden; jetzt ist er arbeitslos. Zur Mitgliederversammlung des Fußballclubs Berlin (FCB) e. V. am Montag abend ist er als Ehrenmitglied in das Hohenschönhausener Vereinsgebäude eingeladen worden, immerhin.
Unter berückend altmodischen Kugellampen, die denen aus dem Palast der Republik ähneln, will Jürgen Bogs mit 134 anderen Vereinsmitgliedern darüber abstimmen, ob der FC Berlin sich ab sofort wieder so nennt, wie er von 1966 bis 1990 schon einmal hieß: Berliner Fußballclub (BFC) Dynamo. Der Trainer trägt ein weinrotes Polo-Shirt. Das beantwortet alle Fragen. Unter Bogs' Führung wurde der BFC Dynamo in weinrot-weißer Arbeitskleidung zwischen 1979 und 1988 zehnmal DDR-Meister, zweimal Pokalsieger und nebenbei zu einer der bestgehaßten ballspielenden Verbindungen westlich des Baikalsees. Daß Seriensieger gewisse Aversionen provozieren, ist bekannt.
Daß es nicht überall auf Wohlwollen trifft, wenn an die Erfolgsverwöhnten noch die besten Spieler der schwächeren Vereine "delegiert" bzw. verhökert werden, das weiß man auch in München und Dortmund. Doch beim BFC war es mehr. Der DDR-Slogan "Der Staat sind wir" paßte selten so gut wie auf diesen Verein, der nicht nur von Zollverwaltung und Polizei, sondern besonders vom Ministerium für Staatssicherheit getragen wurde. Und von dessen Chef; Erich Mielke fand sich regelmäßig auf der Ehrentribüne ein. Schiedsrichter nahmen sich ihre allerschlechtesten Tage überdurchschnittlich häufig zugunsten des BFC, der dafür den Ehrentitel "Schiebermeister" trug.
Schließlich vergraulte der Vereinsapparat systematisch seine Fans, die sich selbst für verregnete Spiele gegen Truppen wie BSG Chemie Buna Schkopau nicht zu schade waren. Wenn es dann im Europacup gegen den Hamburger SV ging, wurden die Karten an Jubelministeriale verschoben. Folgerichtig herrschte dann im Jahn-Sportpark gediegene Parteitagsatmosphäre. An dieses Niveau paßte sich das Team mit den Jahren und Titeln an und agierte zuletzt mit dem urwüchsigen Temperament einer Oberfinanzdirektion. Dennoch: Wer in den 80er Jahren in Berlin gepflegtes Kombinationsspiel und Klassekicker wie Troppa, Thom und Doll sehen wollte, der mußte - notfalls über die Grenze - zum BFC Dynamo gehen, der besten DDR-Mannschaft jener Zeit, Stasi hin, Schiedsrichter her.
Vorbei. Die Stars sind weg, die Talente so gut wie ausverkauft. Was von den Ost-Eliten übrig ist, konvertiert zur Hertha und schwadroniert über die Champions League. Zum Regionalligisten dagegen, der 1990 seine vermeintlich kompromitterenden Insignien - wegen "politischer Ängste", so Bogs - hastig wegwarf, finden derzeit bestenfalls 1.000 Zuschauer. Die "BFC-Hools", die zu den brutalsten Vertretern der Schlägergilde zählen, konnte der FC Berlin nie ganz abschütteln. "Der Verein ist seinen alten Ruf nicht losgeworden", sagt Bogs und zieht daraus die Konsequenz, ehrlicherweise wieder den dazu passenden Namen zu fordern, im Guten und im Schlechten.
Und offenbar sehnen sich im Osten viele nach einem Gegner, auf den man wieder richtig heiß sein kann. Bei einer Umfrage im MDR-Einzugsgebiet (Dynamo Dresden, 1. FC Magdeburg, Rot-Weiß Erfurt) sprachen sich 67 Prozent für eine Rückbenennung aus. 400 FCB-Fans haben einen entsprechenden Antrag unterschrieben. Einer ihrer Vertreter sagt, es sei doch immer eine Ehre gewesen, für den BFC zu spielen. Ein anderer ergänzt: "Beim Namen BFC gehen Seelen auf." Präsident Volkmar Wanski, ein Bauunternehmer, vor kurzem noch Dynamo-Gegner, hat sich's anders überlegt, und sei es nur "für die paar hundert Wilden da draußen." Der Einwand, es gäbe "Sponsoren, die sich kritisch mit der Umbenennung auseinandersetzen", zählt am Ende nicht.
Nur drei Gegenstimmen. Ein Feuerwerk vor der Tür und Fan-Gesänge: "Der BFC, der BFC, der BFC ist wieder da!" Jürgen Bogs sagt in den Jubel hinein: "Jeder Fan fühlt sich irgendwo zu Hause. Heute kriegt jeder ein Stück Identität zurück." Zum perfekten Déja vú fehlen jetzt nur noch Andreas Thom (heute Hertha BSC), die Rechte am BFC-Emblem (die sich zwischenzeitlich Fanartikel-Händler Pepe Mager gesichert hat) und natürlich der Erfolgstrainer. Da macht es sich gut, daß der BFC gerade einen neuen Übungsleiter sucht. Jürgen Bogs hat sich beworben. Es sieht allerdings so aus, als seien seine Chancen beim BFC schlechter als beim FCB. Präsident Wanski sagt knapp: "Wir wollen eine Rückbenennung, keine Rückkehr." Der Gedanke an zu viel Ähnlichkeit ist ihm unheimlich. Womöglich hat er Angst vor einem Scheintoten auf der Tribüne. Erich Mielke wohnt nur ein paar Straßen weiter.
André Mielke, Berliner Morgenpost, 05.05.1999
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