Abenteuer Randale / Jürgen Stryjak und Harald Hauswald besuchten ein Auswärtsspiel des heutigen FC Berlin in Magdeburg

Drei Stunden vor Spielbeginn treffen Ralf Busch und Axel Pannicke vom Fanprojekt Berlin in der Innenstadt von Magdeburg die ersten Berliner Hooligans. Ein knappes Dutzend von ihnen streift durch eine Einkaufspassage in Bahnhofsnähe. Man grüßt sich beiläufig, man kennt sich, nicht unbedingt persönlich, auf jeden Fall aber vm Sehen. Wann immer es sich einrichten läßt, sind die beiden vom Fan-Projekt bei den Spielen Berliner Fußballclubs dabei, auch auswärts, wie hier in Magdenurg. Daß die Hooligans, die sie hier treffen, noch vergleichsweise nüchtern sind, spricht nicht dafür, daß es nach dem Spiel zu einer gemeinsamen Party mit den Hools vom 1. FC Magdeburg kommen wird.

Gerüchte im Vorfeld sprachen davon, aber die beiden Sozialarbeiter sind sich unschlüssig. Zum einen wäre ein gemeinsames Gelage der Hoolgans vom FC Berlin mit den Magdeburger Hools in der Tat ungewöhnlich, zum anderen sagt ihnen die Erfahrung: Wenn Hoolgans keinen Alkohol trinken, dann planen sie etwas. Randale zum Beispiel. Betrunken wäre das Risiko viel zu groß, bei einer Schlägerei überwältigt zu werden. Einer der Berliner Hols, ein kahlköpfiger sogenannter 79er, weil seine Clique sich 1979 gründete, wird später in der Stadionkneipe sagen: "Nach Magdeburg fahrn wa immer wieder jerne. BFCler lassen sich nicht verprügeln, BFCler teilen aus." Im Moment aber können Ralf Busch und Axel Pannicke nur ahnen, was nach dem Spiel passiert.

Noch wissen sie nicht, was nach dem Spiel im Ernst-Grube-Stadion passiert. Noch wissen sie nicht, wie viele gewaltbereite Berliner FCB-Fans sich auf den Weg in die Elbestadt gemacht haben, die Rede ist von vielleicht 200. Sie kennen nur das Gewaltpotential des harten Kerns der Fans des FC Berlin, der schon zu DDR-Zeiten als BFC Dynamo in die Schlagzeilen geraten wäre, wenn die Presse damals ausführlich über Randale und Massenschlägereien berichtet hätte. Trotzdem waren die Dynamo-Hooligans DDR-weit berüchtigt.

Ein Mob von 500 zum Beispiel, der sich mit tausend sächsischen Fans in Leipzig eine erbitterte Schlacht lieferte, Massenschlägereien auf dem Ostberliner Alexanderplatz gegen Union-Fans, Keilereien in Karl-Marx-Stadt, Halle oder Magdeburg. Der BFC Dynamo war Erich Mielkes Stasi-Verein und als solcher Haßobjekt in der gesamten Republik außerhalb Ostberlins. Die Hooligans wollten nichts mehr als gehaßt werden. Sie wollten provozieren, und wo sonst konnten sie den SED-Staat besser treffen als in seinem verordneten Antifaschismus.

Die Hooligans des BFC Dynamo betrachteten sich von Anfang an als Outlaws. Sie waren es Ende der siebziger Jahre als Punks, und sie blieben es als Skins, der Mode, die sich Mitte der Achtziger mehr und mehr auch unter Ostberliner Hooligans durchsetzte. Die beiden Sozialarbeiter vom Berliner Fan-Projekt absolvieren einen Routinegang zum Magdeburger Hauptbahnhof, um die Berliner Hools ankommen zu sehen. In der Vorhalle und auf den Bahnsteigen rührt sich nichts. Nur wenige Polizistenbeobachten die Situation.

"In Berlin am Bahnhof Zoo stehen Zivis, Zivilbeamte", sagt Ralf Busch, "und wenn da keine Hooligans einsteigen, sind hier am Bahnhof auch kaum Grüne." Später im Ernst-Grube-Stadion ein eher trauriges Bild. Das Spiel der Fußball-Regionalliga Nordost zwischen dem 1.FC Magdeburg und dem FC Berlin wird Punkt 18 Uhr vor gerade 1.230 Zuschauern angepfiffen. Es regnet in Stömen, der Wind pfeift kalt. Vor dem Stadion verkaufen Händler Schals mit Sprüchen wie "Deutsches Bier, Schwarz-Rot-Gold, ick steh zu dir" oder "Fußball, Ficken, Alkohol".

Im Gästeblock haben sich statt der erwarteten 200 nur 50 Berliner Hooligans eingefunden, abgeschirmt durch Stahlgitter und Zäune, bewacht von mindestens ebenso vielen Polizisten. Die meist kahlköpfigen Hools tragen Jeans, Turnschuhe und Bomberjacken, grün oder auch weinrot, in der Farbe des FC Berlin. Bereits in den ersten Minuten nach dem Anpfiff fallen zwei Tore. Die Berliner und die Magdeburger Fans gegenüber auf der anderen Seite des Stadions grölen sich Sprechchöre zu. Die Berliner Hooligans rufen: "Nur die DVU, Nur die DVU, ihr - wählt Nur die DVU" Und: "Nazis raus".

Ralf Busch sagt: Rechte Szene und Hooligans muß man getrennt voneinander betrachten. Zwar äußerten sich deutsche Hools in ihrem gesamten Spektrum konservativ und rechts bis rechtsextrem, aber das sei weniger politisch motiviert als bei rechts Organisierten. Hools seien da, wo es Zoff und Randale gibt. Das können auch völlig untypische Anlässe sein. In Cottbus gingen Berliner Hooligans vom FCB schon mal Glatzen klatschen, und als in Ostberlin die Mainzer Str., Hochburg linker Hausbesetzer, geräumt wurde, traten auch Hools gegen die Polizei an. "In Leipzig", sagt Axel Pennecke, ";gibt es einen Mulatten bei den Hooligans. Der ruft in breitestem Sächsisch den Polizisten zu: Ey, ihr Bullen!"

Seit den achtziger Jahren im Westen Deutschlands und nach der Wende auch im Osten versuchen rechtsextreme Organisationen wie FAP oder die NPD immer wieder, rechte Fußballfans für sich zu gewinnen. Mit nur mäßigem Erfolg. Vor einem Spiel des Berliner Klubs Hertha BSC verteilten NPD-Anhänger Handzettel, auf denen geschrieben stand: "Kein Pfennig für Deutschlandhalle und Olympiastadion? Aber Millionen für Besatzer- und Holocaustdenkmäler!" 400 Hertha-Fans von mehreren tausend anwesenden unterschrieben.

"Wenn Hertha an jenem Tag verloren hätte", sagt Ralf Busch, "wären es vielleicht nur 50 gewesen. Gerade bei den Jüngeren ist die rechte Gesinnung längst nicht verfestigt." Während sich zu DDR-Zeiten fast ausschließlich die Stasi um die Hoolgians kümmerte, sind es heute Sozialarbeiter wie Ralf Busch und Axel Pannecke. Sie betrachten sich, sagt Ralf, als eine Art kritischer Anwälte der Fans wie auch der gewaltbereiten Hooligans. Vom Berliner Senat und dem Deutschen Fußballbund finanziert, organisieren sie Freundschaftsturniere und Fernsehabende bei verschlüsselten Premiere-Fußballübertragungen, versuchen zwischen Polizei und Hooligans zu vermitteln und besorgen gelegentlich auch einen Rechtsanwalt.

Klausen, FCB-Fan und dem harten Kern der Hooligans zugehörig, ist skeptisch. Auf die Frage, was er vom Berliner Fan-Projekt halte, antwortet er: "Nichts. Die wollen mir sagen, daß das Scheiße ist, was wir machen." Das aber ist es für Klausen, der zu DDR-Zeiten schon beim Überfall der Rechten auf die Ostberliner Zionskirche dabei war, ganz und gar nicht: "Mein Abenteuer sind Randale. Andere bezahlen 100 Mark für Bungee Jumping." Wie die meisten der Berliner Hooligans im abgeschirmten Magdeburger Gästeblock gehört er zu jenen, die seit den Achtzigern mitmachen und bedauern, daß es keinen Ehrenkodex unter den Hools mehr gibt. Der besagt zum Beispiel: leichte Turnschuhe tragen statt schwerer, gefährlicher Doc Martens, und bei Prügeleien nicht nachtreten, wenn einer schon am Boden liegt.

Klausen ist überzeugt davon, daß die alten Hools sich fair prügeln. "Holländer und Zecken dagegen", sagt er, "können nicht fair kämpfen. Und Kanacken auch nicht." Kurz vor sieben wird das Spiel abgepfiffen, es endet 5:5. Die Polizei zieht einen Ring um die Berliner Fans. Der Stadionsprecher ruft: "An unsere Freunde aus Berlin: Bitte bleiben Sie bis zur Aufforderung durch die Grünen im Fanblock!" Nach zwanzig Minuten werden die Hooligans vor das Stadion geleitet. Und fahren ohne Randale nach Hause. "Berlin hat sich eigentlich beruhigt", sagt Ralf Busch, "das wird sich ändern, wenn der FCB irgendwann wieder aufsteigt."

Jürgen Stryjak, Das Magazin, Sommer 1998