Fußball im Dunkeln / Kurioses Elfmeterschießen in Berlin

In Berlin, ohnehin nicht Hauptstadt des Fußballs, reicht es den vereinen augenscheinlich nicht, gegen den Abstieg oder die existierenden Finanznöte anzukämpfen, man muß sich anscheinend auch noch gegenseitig niedermachen. Um erst gar nicht den verdacht aufkommen zu lassen, bei den Spielen des FC Berlin gegen Union Berlin handle es sich um ganz normale Fußballbegegnungen, hatte Unions Trainer Pagelsdorf schon im Vorfeld der Viertelfinalbegegnung im Berliner Pokal Böses angedeutet. "Der FCB wollte uns vor kurzem noch auslöschen, als er unsere Konten sperren ließ", erklärte er verschiedenen Boulevardzeitungen, ohne weiter darauf einzugehen, daß die Verantwortlichen des FC Berlin zu diesem Mittel griffen, weil sie es leid geworden waren, auf die versprochene Ablösesumme (300.000 DM) immer nur zu warten.

So gerüchtete es auch nach Herzenslust: Die Unioner würden von den Herthanern und anreisenden Rostockern unterstützt, die ehemaligen BFCer ihrerseits alles aufbieten, was nur irgendwie zuhauen kann. 2.200 Zuschauer waren es dann nur noch, die dieses Spiel sehen wollten. Die im Stadion Versammelten kannten - zumindest bei den Unionern - nur ein Gesprächsthema: die vom DFB geforderte Bankbürgschaften, ohne die es mit der Zweitligalizenz schwer wird. "Vielleicht würde es reichen, wenn jeder Fan 200 DM spendet", wurde geulkt. Unberührt von der fußballerischen Tristesse Berlins scheinen einzig die FCB-Supporter. Denn ihr Verein ist unter den acht (von 26) Klubs, die die Regionalliga-Lizenz ohne Auflagen erhalten haben, und kann sich Hoffnungen auf die Zweitliga-Aufstiegsrunde machen.

Und das Pokal-Viertelfinale selbst? Kurz vor Schluß der regulären Spielzeit (2:2) wie auch der Verlängerung (3:3) erzielte der Ex-Unioner Henschel den rettenden Ausgleich und ließ die FCBler wieder durchatmen. Unmittelbar vor dem anschließenden Elfmeterschießen in der Fast-Dunkelheit probierten dann die Fans, mittels hochgereckter Feuerzeuge für bessere Sicht zu sorgen. Im Halbdunkel versuchte man zwar noch kurz, einander zu verhauen, aber die Polizei und das geschehen auf dem Spielfeld wirkten durchaus aktionsverhindernd. Das Elfmeterschießen gewann Union mit 5:3. Aber wie das so ist in Fußball-Berlin: Wenn mal was Spannendes passiert, ist die Mehrzahl der Zuschauer von den Ereignissen im Vorfeld so abgeschreckt, und bleibt zu Hause.


Elke Wittich, Neues Deutschland, Mitte April 1994