Der Abgesang am Tag danach / FCB und Union mit Dauersitzungen / Die Transferlisten füllen sich

Totengräberstimmung gestern morgen im Sportforum und an der Alten Försterei. Der FC Berlin und der 1. FC Union müssen den bitteren Weg ins Amateurlager antreten. Nur Hertha BSC (mit strengen Lizenzauflagen) und Blau-Weiß 90 vertreten in der kommenden Saison den zweitklassigen Berliner Fußball im Profi-Geschäft. Beim FC Berlin war gestern Sprechstunde angesagt. Manager Dr. Fuchs und Trainer Bogs diskutierten nochmals mit jedem Akteur über dessen Zukunft. "Das ist schon äußerst deprimierend", so Dieter Fuchs, "so kurz vor dem Ziel noch abgefangen worden zu sein. Wir müssen nun alle schnellstens versuchen, die eklatante Schlappe wegzustecken und vorwärts zu denken."

Am Sonntagabend waren Bonan (zu Bochum), Reich (Karlsruhe) und Herzog (wahrscheinlich Schalke) beim festlichen Saisonabschluß verabschiedet worden. Nach dem Magdeburger Spiel kam Jenas Trainer Konrad Weise auf Dr. Fuchs zu und meldete Interesse an Libero Szangolies an. "Szango" weiß inzwischen davon, wartet nun auf ein konkretes Angebot. Auch Küttner ("für mich überraschend", so Dr. Fuchs) und Boer haben sich gestern früh auf die Transferliste setzen lassen. An Boer ist vor allem Halle interessiert. Wie weiter zu erfahren war, will sich auch Torwart Walow nicht reamateurisieren lassen. Der dreifache Torschütze beim Profi-Halali, Tomasson, geht zurück nach Island.

Die Gespräche mit den Spielern dauerten gestern noch an. Einer bleibt auf jeden Fall: Trainer Jürgen Bogs. Er hat einen Vertrag bis 30.6.1992 und will "trotz des deprimierenden Ereignisses" mit einigen erfahrenen Leuten und jungen Kickern weitermachen. "Ich will noch zwei, drei Leute holen, alle aus dem Nordost-Bereich, auch von Teams, die in der Relegation gescheitert sind." Das Ziel ist schon ausgegeben worden: Sofortiger Aufstieg in die 2. Bundesliga! Finanziell sind die Berliner ja recht stark und schon jetzt auf dem Niveau der 2. Bundesliga. "Wir haben derzeit zwischen drei und vier Millionen Mark auf dem Konto", listete Dr. Fuchs auf.

"5,8 Millionen ergaben die Verkäufe von Thom, Ernst, Doll und Rohde. Rund drei Millionen kostete uns das laufende Fußball-Jahr. Die Zuschauereinnahmen gingen für Ordner und ähnliche Dinge drauf. Wir wollen sehr sparsam sein, um bei dem angestrebten Aufstieg in den bezahlten Fußball auch sofort die Lizenzauflagen des DFB erfüllen zu können." Beim FC Berlin denkt man also weiter perspektivisch, auch wenn das einen Tag nach dem Fall in die Drittklassigkeit sicher schwerfällt. Die Ungewißheit bei den verantwortlichen Männern des 1. FC Union war nach dem Aufstiegs-Abgesang zur 2. Bundesliga groß. Trainer Werner Voigt: "Ich denke doch, das Gros der Mannschaft bleibt zusammen."

Ganz anderer Meinung war wenig später Manager Pedro Brombacher: "Hoffentlich fällt das Stammaufgebot nicht auseinander." Eine Konzeption hatte die Leitung der Wuhlheider für den Fall des Nichtaufstiegs erarbeitet. Da werden den Spielern Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten angeboten. Außerdem können nach den DFB-Statuten auch Vertragsamateure verpflichtet werden für monatlich bis zu 750 DM. Die meisten Unioner haben dazu eine abwartende Haltung eingenommen und werden wohl erst dann zustimmen, wenn sie in den nächsten Tagen kein Angebot aus dem Profilager erhalten. Seier ist vorsichtshalber bereits in Richtung Arbeitsamt marschiert, doch haben bei ihm auch schon Fußball-Interessenten angeklopft.

Spielmacher Sirocks wurde Sonntag von Hannover 96 beobachtet. Der ehemalige Blau-Weiß-Trainer Hor Ehrmanntraut, jetzt beim SV Meppen in der 2. Bundesliga, hat ebenfalls ein Auge auf ihn geworfen. Libero Hofschneider, immerhin schon für das erweiterte Aufgebot der deutschen Nachwuchsauswahl eingeladen, macht auch kein Hehl aus seinen Abwanderungsgedanken. Er ließ sich daher wie Sirocks, der Ex-Duisburger Thiele, der Bulgare Kachmerow und der Paraguayer Ferreira auf die Transferliste setzen. Nur der Pole Mencel will sich überraschenderweise reamateurisieren lassen. Der FC Berlin und der 1. FC Union einen Tag nach dem Fall ins Amateurlager. Weitere Neuigkeiten wird es garantiert auch in den nächsten Tagen geben.

Michael Jahn und Hans-Günter Burghause, Berliner Zeitung, 25.06.1991