| Begleitet von einem rund 1.200 Mann starken Polizeikordon gedachten am Samstag nach dem Fußball-Oberligaspiel FC Berlin gegen HFC Chemie etwa 1.000 Hooligans des am Wochenende zuvor in Leipzig ums Leben gekommenen Mike Polley mit einem Trauermarsch. In vorderster Reihe auf dem Weg vom Jahn-Sportpark zum Brandenburger Tor ging FCB-Abwehrspieler Waldemar Ksienzyk. Kurz vor Auflösung des Zuges sprachen wir mit ihm.
Waldemar, wie kommt es, daß du hier dabei bist? Ksienzyk: Unser Vorstand fragte mich, ob ich mitlaufen würde. Für mich gab es da kein langes Überlegen.
Obwohl du an deinem 27. Geburtstag vielleicht anderes lieber tätest? Ksienzyk: Feiern kann ich immer noch. Schließlich können wir nicht so tun, als hätten die Jungs hier mit uns nichts zu tun. Egal, ob wir zu Hause oder auswärts spielen, sie sind da und feuern uns an. Deshalb ist es jetzt viel wichtiger, daß wir, also jeder Spieler und jedes Vereinsmitglied, wo immer es möglich ist, versuchen, auf die Situation positiv Einfluß zu nehmen. Und da ist es das mindeste, hier mitzugehen, denn immerhin starb vorige Woche ein Mensch.
Hattest du keine Bedenken, daß sich die Leipziger Zustände wiederholen würden? Ksienzyk: Ich bin ein positiv denkender Mensch, glaube an das Gute im Menschen. Ich habe den Jungen vertraut, daß sie ihr Versprechen, alles würde ohne Randale ablaufen, einhalten würden. Und wie der friedlich verlaufende Marsch zeigte, können die Jungen auch anders und treten nicht immer nur als Chaoten in Erscheinung, wie überall geschrieben steht. Außerdem lieferte die Polizei ein Musterbeispiel an Einfühlungsvermögen und Disziplin.
Nervt es nicht, wenn der Anhang nach wie vor die alten BFC-Anfeuerungsparolen skandiert? Ksienzyk: Schöner wäre es schon, würden sie sich unseres neuen Vereinsnamens besinnen. Jedermann kann heute sagen, was er denkt. Weißt du, solange sich die Menschen nur lautstark bemerkbar machen und sich ordentlich benehmen, ist alles andere halb so schlimm.
Wie sind Ausschreitungen beim Fußball zu vermeiden? Ksienzyk: Ein Rezept gibt es ganz sicher nicht. Durch die Vernunft eines jedes einzelnen ließe sich vieles regeln. Der heutige Tag hat´s bewiesen.
Gunnar Meinhardt, Junge Welt, 12.11.1990
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