Polizei wissend in die Katastrophe / Leipziger Polizei wurde von den Berliner Kollegen vorab über das Kommen der Hooligans informiert / Polizei war "wie gelähmt" / Kritik am Vorgehen der Beamten / Nächste Spiele unter Schutz

Die Leipziger Polizei war von ihren Berliner Kollegen schon lange vor den Krawallen am Wochenende darüber informiert worden, daß Berliner Hooligans "nach Leipzig fahren würden, um dort Randale zu machen". Dies erklärte der Berliner Polizeibeauftragte für Fußballfragen, Jörg Kramer, gegenüber der taz. Auch der Sprecher des Berliner Innensenators, Thronicker, bestätigte, daß die Leipziger Polizei noch am Morgen des 3. November, an dem das Fußballspiel stattfand, unterrichtet wurde, daß sich rund 150 Skinheads vom Berliner Bahnhof Friedrichstraße nach Leipzig auf den Weg gemacht hätten. Aus Kreisen der Leipziger Polizei war dagegen erklärt worden, man habe keine Vorabinformationen aus Berlin erhalten. Bei der Leipziger Polizei wurden mangelnde Ausrüstung und Organisation als Gründe für die Überforderung der Polizisten genannt.

Nicht nur die überwiegend jungen Polizisten seien nach der Straßenschlacht mit den Hooligans in Leipzig vor Entsetzen wie gelähmt gewesen, berichtete ein Polizeisprecher. Die Auseinandersetzungen am Wochenende, bei denen ein 18jähriger erschossen und drei weitere Männer verletzt wurden, hätten auch bei den "alten Hasen" für einen tiefen Schock gesorgt. In den letzten Wochen und Monaten, so der Sprecher, hätten viele fähige und erfahrene Beamte die Polizei verlassen. "So können wir bei derartigen Einsätzen nur ohnmächtig gegenüberstehen. Die jungen Burschen waren einfach überfordert. Sie hatten Angst. Viele hatten schon vor dem Schießbefehl die Pistole nicht mehr im Halfter", erklärte ein Polizeimeister.

Ein Beamter, der direkt vor Ort am Stadion und am Bahnhof Leutzsch im Einsatz war, verwies auf die "total veraltete Technik". Die Funktechnik sei zu schwer, ihre Reichweite viel zu kurz. Hinzu käme, daß die Hooligans viel besser organisiert seien als die Polizei. Der Geschäftsführer des FC Berlin übte indessen Kritik am Einsatz der Leipziger Polizei im Vorfeld der Auseinandersetzungen. Er selbst habe gesehen, wie sich Gruppen ohne Eintrittskarten Einlaß verschafft hätten. Die Chancen, zur Beruhigung der Lage mit den gewalttätigen Fans ins Gespräch zu kommen, schätzte Bogs als gering ein: "Der Verein muß zwar aktiver werden, wir müssen mit mehr Fans reden, sie einladen. Aber es ist zu bezweifeln, daß das gegen Skinheads und Hooligans hilft." Das nächste Heimspiel des FC Berlin gegen den Hallenser FC Chemie wird unter stark verschärften Sicherheitsmaßnahmen stattfinden.

Manfred Such, Bundestagsabgeordneter und Mitbegründer der Gruppe kritischer Polizisten, sieht im wesentlichen drei Ursachen für das Versagen der Leipziger Polizei. Diese sei ungenügend ausgebildet und auf die Situation nicht vorbereitet gewesen, sie habe die Lage falsch eingeschätzt und habe sich in eine Notwehrlage hineinmanövriert, "die eigentlich gar nicht eintreten darf". Die Schüsse als letztes Mittel dürften jetzt nicht akzeptiert werden, sonst bekämen sie eine falsche Signalfunktion für die Polizisten in der ehemaligen DDR. Such verlangte eine "genaue Aufarbeitung und Untersuchung" der Vorfälle. Bundeskanzler Kohl hat unterdessen seinen Kanzleramtsminister Seiters beauftragt, mit Vertretern des Fußballbundes über die Hooligan-Problematik zu sprechen. Die Bundesregierung sei "sehr besorgt über die Krawalle".


Autor nicht bekannt (dpa), taz, 06.11.1990