Leipziger Polizei erschießt Fußballfan / Schwere Krawalle und Verwüstungen

Die Leipziger Polizei hat am Wochenende bei mehrstündigen schweren Auseinandersetzungen mit Fußballrowdys einen 18jährigen aus Malchow (Brandenburg) erschossen. Nach Angaben des Leipziger Polizeisprechers Peter Heimann wurden drei andere junge Männer schwer verletzt. Die Polizei habe in Notwehr gehandelt. Im Verlauf der Auseinandersetzungen seien Polizeiautos angezündet, Schaufenster eingeworfen und Läden geplündert worden. Vor, während und nach dem Spiel zwischen FC Sachsen Leipzig und FC Berlin hatten die Rowdys, die von Augenzeugen als rechtsradikale Skinheads bezeichnet wurden, mit teilweise militärisch anmutendem Vorgehen im Umkreis des Stadions und in der Leipziger Innenstadt Schlägereien angezettelt und Verwüstungen angerichtet Der Schaden geht nach Angaben der Polizei in die Millionen.

Stunden vor dem Oberligapunktspiel waren mehrere hundert Hooligans aus der Hauptstadt in den Leipziger Stadtteil Leutzsch eingedrungen und hatten die Ausschreitungen angezettelt. Obwohl der Gastgeber eine sechsstellige Summe zur Erhöhung der Sicherheit im Stadion ausgegeben und die Zahl der Ordnungskräfte erhöht hatte, konnte die Eskalation der Gewalt nicht verhindert werden. Das Spiel wurde nicht angepfiffen, anhaltende Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Gewalttatern führten zu einer Verzögerung von beinahe einer halben Stunde. Nach Darstellung von Polizeisprecher Heimann wurden bereits im Stadtteil Leutzsch Schaufenster eingeworfen und Imbißwagen umgestürzt. Spater hätten sich die Krawalle auf den Bereich des Bahnhofs Leipzig-Leutzsch konzentriert, wo die Polizisten mit Steinen, Eisenstangen und Reizgas attackiert worden seien.

Schließlich, so Heimann, seien die Sicherheitskräfte, die mit Schlagstöcken und Tränengas auf die Angriffe reagiert hätten, von zwei Seiten angegriffen und von den Gewalttätern eingekesselt worden. Da Gefahr für Leib und Leben der Leipziger Polizisten bestanden habe, sei der Befehl zum Schußwaffengebrauch erteilt worden. Durch Schüsse seien der 18jährige getötet und die drei anderen Männer schwer verletzt worden. Ein durch einen Bauchschuß am gefährlichsten verletzter 23jähriger Berliner wurde nach Angaben Heimanns am Sonntag operiert und befand sich nicht mehr in Lebensgefahr. Nach den Schüssen der Polizei zogen die Randalierer in die Leipziger Innenstadt weiter. Zahlreiche Scheiben seien eingeworfen und die Auslage von Geschäften geplündert worden, berichtete Heimann.

Drei Polizeifahrzeuge gingen in Flammen auf, 15 Privatautos wurden ebenfalls demoliert. Insgesamt nahm die Polizei im Verlauf der Auseinandersetzungen 80 Personen fest. Einer der Vandalen sagte. "Was soll man denn heute machen? Man kann nicht nur immer Türken oder Linke klatschen." Ein entsetzter Polizist sagte: "Die hatten Haß in den Augen und wollten Krieg." Der Journalist Thomas Skulski berichtete als Augenzeuge im DFF-2-Fernsenprogramm: "Kurz vor acht Uhr tobte in Leipzig ein regelrechter Krieg." Heimann sagte, die personell stark dezimierte Polizei sei nicht auf die Schwere der Auseinandersetzungen vorbereitet gewesen. Die Leipziger Polizei hat jetzt zwei Drittel weniger Miarbeiter als noch vor einem Jahr. Das liege daran, daß die Einsatzbereitschaften der Polizei bislang aus Wehrpflichtigen bestanden hätten, die zum 1. November hätten entlassen werden müssen. Außerdem hätten in den ersten neun Monaten im damaligen Bezirk Leipzig 1.660 Beamte gekündigt.

Vor einem Jahr habe die Leipziger Polizeibehörde einschließlich Strafvollzug und Feuerwehr noch über 7.000 Menschen beschäftigt. Dennoch war die Leipziger Polizei den Hooligans offenbar schlecht vorbereitet entgegengetreten: Der Einsatzleiter Karl-Heinz Krompholz hatte am Donnerstag gesagt, der FC Berlin rechne mit der Anreise von 20 bis 30 Fans, Krompholz teilte weiter mit er habe gleichwohl mehr Einsatzkräfte angefordert, was ihm aber von seinen Vorgesetzten nicht bewilligt worden sei. Auch Leipzigs Stadtverordnete seien "von der zu erwartenden Katastrophe unterrichtet" worden. Die Ereignisse werden in jedem Fall ein politisches Nachspiel haben. Vor dem Hintergrund der Vorbereitungen auf das deutsche Fußball-Fest am 21. November in Leipzig, wenn die Auswahlmannschaften der beiden früheren deutschen Staaten aufeinandertreffen, müßten Heimann zufolge "Schlußfolgerungen gezogen werden".


Autor nicht bekannt (Reuter/AFP/AP), Frankfurter Rundschau, 05.11.1990