"Ahnungslose" Polizei / Krawalle am Wochenende waren vorhersehbar

Nein, man habe in "sehr enger Kooperation" mit dem Fußballklub FC Berlin gestanden, betonte gestern der Leipziger Polizeisprecher Heimann, aber die gewalttätigen Fans seien "ganz plötzlich" in großer Überzahl dagewesen. Die Leipziger Polizei und der Berliner Fußballclub, deren Anhänger für die Krawalle vom Wochenende verantwortlich gemacht werden, hätte es beser wissen können. Man ziehe sich ordentliche Klamotten an und den Scheitel gerade. Schön streng und schnittig. Dann gehe man am Freitagabend in die einschlägig bekannte Ostberliner Discothek "Cafe Nord", setze sich in die Ecke, warte und spitze die Ohren. Freitag ist der "Bruderschaftsabend" des FC-Berlin, der Treff vor dem "großen Knall", zum gegenseitigen Kennenlernen. Das Wochenende steht vor der Tür und damit ein Fußballspiel des FC Berlin, das es zu "begleiten" gilt. Ausgerechnet der alte Stasi-Verein BFC Dynamo, der Hätschelclub Erich Mielkes, ist zu einem Kristallisationspunkt des Rechtsradikalismus in Berlin geworden.

Der im ganzen Land grassierende Haß auf den einstigen Abonnementsmeister der DDR, dem stets die besten Spieler zugeschustert wurden, bildet die geeignete Grundlage für rechtsgerichtete Jugendliche, sich als böse Buben der Wende zu profilieren. Bereits Anfang Januar reicherten organisierte Gruppen von Skinheads bei einem Hallenturnier das Repertoire ihrer Nazi-Parolen durch provozierende Hochrufe auf die "Staatssicherheit" an. Am letzten Freitag, einen Tag vor dem Spiel gegen Sachsen Leipzig, wurden auf dem "Bruderschaftsabend" auch "Kameraden" aus Bochum und Dortmund begrüßt. Die "Borussenfront"-Kämpfer an der "Ostfront". Bei Bier und Schnaps wurden die Handlungsanweisungen für das Sachsen-Spiel ausgegeben. Ausgeklügelt und detailliert. Nach dem Motto "Getrennt marschieren, vereint schlagen", setzten sich die verschiedenen Gruppen dann in Bewegung, um sich im Georg-Schwarz-Sportpark in Leipzig wiederzutreffen. Vor der Abfahrt schlossen die Hooligans bei ihren Buchhaltern noch Wetten ab, ob das Spiel pünktlich angepfiffen werden könnte, oder ob es ihnen gelänge, den Anpfiff zu verhindern.


Richard Sorge, taz, 05.11.1990