ND-Gespräch mit Hauptkommissar Dieter Gaasenbeek / Unter den Polizisten ist die Verunsicherung groß

Der Einsatz der Polizei der Messestadt wird von verschiedenen Seiten kritisiert. Man habe sich zu ungenügend auf solche Situationen vorbereitet, heißt es allenthalben. Es sei auch nicht das erste Mal, daß bei solchen Auseinandersetzungen die Dienstwaffe eingesetzt werden mußte. Darüber und über weitere Hintergründe der Krawalle vom Sonnabend sprach unser Korrespondent Manfred Jäger mit Hauptkommissar Dieter Gaasenbeek, Pressedezernent der Leipziger Polizei.

Wie haben Sie den Tag erlebt?
Gaasenbeek:
Ich war zu diesem Zeitpunkt hier in der Leitstelle. Was sich hier abgespielt hat, ist unbeschreiblich. Bis 19 Uhr hatten wir 208 Notrufe. Verständlich ist, daß nicht jeder gleich Hilfe bekam. Wir mußten gar ein Unterstützungsersuchen zum Transport von Blutkonserven ablehnen.

Daraus ist ersichtlich, daß die Polizei zu wenige Kräfte im Einsatz hatte, um den Hooligans beizukommen?
Gaasenbeek:
Wir hatten 219 Schutz- und Verkehrspolizisten im Einsatz. Weitere Kräfte haben wir nicht. Die Bereitschaftspolizei steht uns nun auch nicht mehr in dem Maße zur Verfügung, wie das einmal war. Eigentlich war geplant, eine Stärke von acht Zügen einzusetzen. In Wirklichkeit standen nur drei zur Verfügung. Das war im Vorfeld auch bekannt.

Wie reagierte denn der Stadtrat für Inneres und andere, die Mitverantwortung für den Schutz und die Sicherheit der Bürger tragen, auf diese Situation?
Gaasenbeek:
Bis jetzt habe ich noch keine Reaktion verspürt. Dazu kann ich nur noch sagen, daß am Donnerstag vergangener Woche ein Gespräch stattfand mit dem Einsatzleiter, unserem Stabschef und Abgeordneten von allen Fraktionen. Herr Krompholz, unser Einsatzleiter, hatte dabei auf diese komplizierte Situation verwiesen. Einige Abgeordnete sahen sich daraufhin genötigt oder veranlaßt, den Referenten für Sicherheit, Recht und Ordnung der Stadt zu informieren. Herr Krompholz ging insgesamt bei seiner Einschätzung davon aus, daß, wenn keine besonderen Probleme eintreten, er sich in der Lage fühlt, den Einsatz zu führen. Aber bei dieser Übermacht an Randalierern war das nicht zu halten.

Hatten Sie Kenntnis, daß Hooligans im Anmarsch sind?
Gaasenbeek:
Da gab es keine zuverlässigen Hinweise. Nur dieser oder jener hatte etwas gehört, aber direkte Beweise, daß sie sich in Bewegung setzten, gab es nicht. Wir wissen, daß Hooligans mit Westberliner Bussen fahren. Demzufolge fehlen uns Informationen über die Transportpolizei. Die Busse kommen dezentral zu ihren Zielen, die Gruppen dann danach mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß. Ziel ist es immer, die Auseinandersetzung zu führen. Besondere Ehre sei, sich mit der Polizei zu schlagen. Ein Polizist ist am Sonnabend auch verletzt worden.

Welche Schlußfolgerungen ziehen Sie aus den Geschehnissen?
Gaasenbeek:
Die einzige Schlußfolgerung kann nur lauten: Wir müssen mehr Kräfte einsetzen.

Die Polizei steht aber vor einer komplizierten Situation. Jeder weiß, wie verunsichert sie ist. Wie sehen Sie diese Sache?
Gaasenbeek:
Der Polizist weiß im Grunde genommen außer den guten wohlklingenden Reden einiger Politiker, daß er im Dienst verbleiben soll. Man werde benötigt, heißt es immer wieder. Es   weiß aber trotzdem keiner, was nun genau wird. Und wenn man die Gewerkschaft hört, auch unsere, dann gibt es nur noch mehr Verunsicherungen. Beispiel ist die Frage nach der politischen Vergangenheit der Polizei. Und aus all diesen Gründen ziehe ich vor meinen Kollegen den Hut. Sie haben am Sonnabend ihr Leben eingesetzt gegenüber solchen Randalierern. Und in dieser Situation ist es eben nicht gut, wenn man nicht weiß, was aus uns wird. Es muß endlich Klarheit geschaffen werden. Das erwarte ich von den Verantwortlichen für Recht und Sicherheit in unserer Stadt, aber auch von dem Innenminister, den es nun bald geben muß. Die, die hier Dienst tun, brauchen einen entsprechenden Rückhalt.


Manfred Jäger, Neues Deutschland, 05.11.1990