Der Tag, an dem Hooligans Leipzig terrorisierten / Bisher schwerste "Fußball"-Krawalle im Osten

Georg-Schwarz-Sportpark Leipzig-Leutzsch am Sonnabendnachmittag: Das Fußballstadion füllt sich nur allmählich mit Besuchern der Oberliga-Begegnung Sachsen Leipzig kontra FC Berlin. Gut 4.000 sind es zu Spielbeginn. Die Polizei ist präsent. Sichtbar mit Schildern und Schlagstöcken, auch Hunde sind da. Die Atmosphäre ist gespannt. Hooligans aus Berlin sind angekündigt. Doch zuerst kommen einige Dutzend Leipziger Jugendliche, verschaffen sich blitzschnell Zugang zum Stadion, ohne zu bezahlen. Mit "Sieg heil"-Rufen machen sie auf sich aufmerksam. Dann kommen die Berliner. Nicht mehr als etwa 50 werden es sein. Die Ordnungskräfte haben Mühe, die Berliner in den abgesperrten Gästeblock zu drängen. Der Schiedsrichter zögert, pfeift das Spiel nicht an. Die Polizei will Leipziger und Berliner "Anhänger" räumlich weiter trennen.

Schließlich werden die Berliner ganz aus dem Stadion vertrieben. Das Fußballspiel beginnt mit 24 Minuten Verspätung, im Stadion herrscht Ruhe, aber draußen tobt wenig später die Schlacht. Für die Leipziger Polizei hatte der Einsatz schon am frühen Sonnabendmorgen begonnen. Einsatzleiter Polizei-Oberrat Karl-Heinz Krompholz hatte schlimme Vorahnungen: "Wir hatten exakte Absprachen mit dem Fußballklub Sachsen, waren auf das Schlimmste gefaßt. Ich hatte auf Seiten der Polizei mit gut 300 Mann gerechnet, aber am Donnerstag wurden mir Kräfte kurzfristig gestrichen, so daß mir noch exakt 219 Polizisten zur Verfügung standen." Am Sonnabend gegen 13 Uhr hatten sich dann auf dem Leipziger Hauptbahnhof die Hooligangruppen aus Berlin, etwa 50 Mann, und aus Leipzig, rund 100 Mann, vereinigt.

Zuvor zwangen die Berliner den Zug in Halle zum Halt bewaffneten sich unterwegs mit Schottersteinen. Schon auf dem Hauptbahnhof gab es einen ersten verletzten Polizisten. Die Randalierer wurden zunächst zur S-Bahn abgedrängt, zogen später durch die Schumannstraße, warfen erste Schaufensterscheiben ein, demolierten einen Imbißstand. Rund 50 von ihnen wurden schon da in Sicherheitsgewahrsam genommen. Der Rest erschien im Stadion. Doch der eigentliche gewalttätige Kern tauchte - für die Polizei völlig überraschend - erst gegen 14.15 Uhr in Leutzsch auf. Oberrat Krompholz: "Um diese Zeit, das Spiel war ja noch nicht angepfiffen, erreichte uns per Funk die Meldung, daß etwa 300 bis 500 Personen im Anmarsch sind." Diese Gruppe feuerte Raketen ab - in die Luft, aber auch flach. Die Polizei bildete daraufhin eine Räumkette, setzte auch Reizgas ein. Was danach geschah, schilderte

Einsatzleiter Oberrat Krompholz so: "Vor dem Leutzscher Bahnhof tobte eine regelrechte Schlacht. Die Hooligans warfen aus nächster Nähe mit Schottersteinen auf die Polizisten, gingen mit Eisenstangen und Knüppeln vor. Sie steckten Einsatzfahrzeuge in Brand, hatten die Tanks zertrümmert. Meine Kräfte waren eingeklemmt, das Leben der Polizisten in höchster Gefahr. Daraufhin erteilte ich den Befehl, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen. Erst als erste Stimmen laut wurden, daß es Verletzte gäbe und Hooligans riefen 'Wir haben einen Toten' kamen viele mit den Händen nach oben aus ihren Verschanzungen hervor." Die schreckliche Bilanz von Leutzsch: ein Toter und drei Schwerverletzte - alle vier aus Berlin - 53 Hooligans wurden vorläufig festgenommen. Ein W 50 der Polizei und zwei weitere Polizeifahrzeuge brannten aus, wurden zerstört, 15 Zivilfahrzeuge gingen zu Bruch.

Die zerschlagenen Hooligangruppen rächten sich aber sofort. Sie zogen in die Innenstadt, verwüsteten dort sämtliche Schaufensterscheiben des Warenhauses "Am Brühl". Die Spur der Gewalt zog sich bis in die Nikolaistraße gegenüber dem Hauptbahnhof, wo ebenfalls sämtliche Schaufenster zu Bruch gingen, Auslagen geplündert wurden. Ein Leipziger Ehepaar, Augenzeuge der Randale, zur "BERLINER ZEITUNG": "Die Truppe kam aus der Straßenbahn, vermummte sich plötzlich, plünderte Am Brühl einige Marktstände und warf mit allem, dessen sie habhaft wurden, die Schaufensterfronten ein. Alles ging blitzschnell." Fassungslos die Besitzerin der "Schmuckvitrine" in der Nikolaistraße, wo die gesamte Auslage geplündert war: "Ich hatte einen Kunden im Laden - es war ja langer Verkaufssonnabend, plötzlich gingen die Scheiben zu Bruch, Gegenstände flogen in den Laden. Wir gingen in Deckung. Wir kommen um 18 Uhr wieder, riefen die Chaoten. Ich alarmierte die Polizei, die riet, man solle sich in Sicherheit bringen."


Michael Jahn, Berliner Zeitung, 05.11.1990