Polizisten in Panik

Panem et circenses - Brot und Spiele. So erscholl es vor 2000 Jahren aus den Kehlen der römischen Plebs. Zum Vergnügen gehörte schon damals die Gewalt. Das Blut floß allerdings vorrangig in der Arena, da schaute man anderen beim Sterben zu. Heute hingegen wollen manche Zuschauer selbst zu Akteuren werden und dreschen munter drauflos. Vom Fußballstadion als Ersatzkriegsschauplatz hörte man bis vor kurzem nur im Rahmen der Auslandsnachrichten. Jetzt sind wir dabei, auch in dieser Hinsicht internationales Spitzenniveau zu erreichen. Hooligans (zu deutsch: brutale Straßenlümmel) treiben mittlerweile ihr Unwesen von Rostock bis Chemnitz. In Leipzig gab es am Wochenende den ersten Toten in Sachen ostdeutscher Fußball. Unerwartet kommt so etwas nach den Krawallen vergangener Spieltage nicht. Bestürzend ist allerdings, daß die Polizei auf eine Eskalation der Gewalt offenbar immer noch unvorbereitet, hilf- und kopflos reagiert.

Mögen die ehemaligen VP-Leute auch verunsichert und von Existenznot geplagt sein (wer wäre es nicht in der Ex-DDR?) - sie werden dafür bezahlt, die Ordnung vorbeugend zu sichern und nicht im letzten Augenblick nach Wildwest-Manier durch die Gegend zu schießen. Welcher Dilettantismus war in Leipzig am Werk, wenn sich eine schwer gerüstete Polizei-Truppe derart in die Enge treiben läßt, daß ihr nur noch der Griff zum Revolver bleibt? Daß Fußballspiele gewaltbereiten Kriminellen als willkommene Kulisse dienen, dürfte bekannt sein. Die Frage ist, wann die Polizei in diesem Land daraus entsprechende Schlußfolgerungen zieht. Sollte das nicht alsbald geschehen, und sollte es den staatlich besoldeten Ordnungshütern nicht gelingen, anarchischen Szenen a la Leipzig mit Augenmaß und Übersicht zu begegnen, wäre das ein böses Zeichen. Dann hätten die Urheber der bekannten "Bullen"-Witze völlig recht.


Jan v. Flocken, Der Morgen, 05.11.1990