Eskalation der Gewalt in Leipzig / Ein Toter und zahlreiche Verletzte bei einer Schlacht zwischen Polizei und Hooligans

Nur drei Tage nach den Krawallen beim Länderspiel Luxemburg - Deutschland forderte die Eskalation der Gewalt in Leipzig am Samstag während des Oberligaspiels Sachsen Leipzig - FC Berlin einen Toten und drei Schwerverletzte sowie Sachschaden in Millionenhöhe! Der 18jährige Berliner Mike P. verlor durch einen Schuß aus einer Polizeiwaffe - angeblich ein verfehlter Warnschuß - sein Leben, als sich Polizisten auf einem Güterbahngelände zwischen S-Bahn und dem Georg-Schwarz-Sportpark in Leipzig-Leutzsch von einer großen Zahl Randalierer eingekesselt sahen. Der Leipziger Polizeimeister Peter Heimann sagte dazu: "Die Polizisten waren in einer Situation, in der es ohne Schußwaffengebrauch tote Polizisten gegeben hätte." Auch die drei Schwerverletzten wurden von Polizeikugeln getroffen.

Es waren in der ehemaligen DDR die bisher schwersten Krawalle im Umfeld eines Fußballspiels. Bei weiteren Ausschreitungen in der Innenstadt gingen Fensterscheiben in 31 Geschäften zu Bruch, deren Auslagen geplündert wurden. Das Erdgeschoß des Warenhauses am Brühl wurde praktisch zerstört. Zwei Polizeifahrzeuge gingen in Flammen auf, 16 weitere Pkw wurden schwer beschädigt. Nur 18 Tage vor dem geplanten großen Leipziger Fußballfest mit dem Treffen der beiden Auswahlmannschaften und der Vereinigung der deutschen Verbände hinterließen rund 400 bis 500 "Hooligans" eine schreckliche Spur der Verwüstung. Ein entsetzter Polizist sagte: "Die hatten Haß in den Augen und wollten Krieg." Der Journalist Thomas Skulski berichtete als Augenzeuge im DFF-2-Fernsehprogramm: "Kurz vor acht Uhr tobte in Leipzig ein regelrechter Krieg." Die Rowdys waren offenbar aus mehreren Teilen der früheren DDR nach Leipzig angereist.

Eine Gruppe stoppte einen Zug bei Halle und bewaffnete sich mit Schottersteinen aus dem Gleisbett. Andere Randalierer schlugen später mit Metallstangen zu und sprühten bei den Kämpfen Reizgas. Die Lage eskalierte außerhalb des Stadions, in dem das Fußballspiel wegen der gefährdeten Sicherheit von Schiedsrichter Stenzel erst mit 25 Minuten Verspätung angepfiffen worden war, von Minute zu Minute. Polizeioberrat Karl-Heinz Krompholz sah sich als Stabschef der Leipziger Polizei schließlich gezwungen, den Schußwaffeneinsatz zu erlauben. Wie Polizeioberrat Krompholz mitteilte, habe er bereits am Donnerstag mehr Einsatzkräfte angefordert, was ihm aber von seinen Vorgesetzten nicht bewilligt worden sei. Auch Leipzigs Stadtverordnete seien "von der zu erwartenden Katastrophe unterrichtet" worden. Die Ereignisse werden in jedem Fall ein politisches Nachspiel haben.

Vor dem Hintergrund der Vorbereitungen auf das deutsche Fußballfest am 21. November in Leipzig müßten laut Polizeimeister Heimann "Schlußfolgerungen gezogen werden". Erste Kontakte mit dem Regierungsbeauftragten Dr. Krause und Leipziger Stadträten seien bereits geknüpft worden. Der Deutsche Fußball-Bund hat die Bundesregierung in Bonn aufgefordert, durch Gesetzesänderungen eine strengere Bestrafung von Fußball-Rowdys zu ermöglichen. Laut DFB-Pressesprecher Wolfgang Niersbach wird die DFB-Sicherheitskommission am Dienstag eine Inspektion vor Ort vornehmen. In Leipzig sind erste Stimmen laut geworden, die Partie am 21. November im 92.000 Zuschauer fassenden Stadion abzusagen. Hintergrund ist, daß die Polizei nach einer Entlassungswelle zum 1. November aus eigener Kraft keine Sicherheit garantieren kann. Das Innenministerium in Sachsen ist noch nicht funktionsfähig.


Autor nicht bekannt, Sportkurier, 05.11.1990