Krawalle bei Fußballspiel fordern einen Toten / Polizeikugel trifft 18jährigen / Mehr als 400 Randalierer terrorisieren Leipzig

Die "Heldenstadt" Leipzig erlebte am Samstag die bisher schwersten Ausschreitungen während eines Fußballspieis auf deutschem Boden. Ein Toter, drei Schwer- und sechs Leichtverletzte, 80 Festnahmen, ein Haftbefehl wegen Landfriedensbruchs und Sachschaden in Millionenhöhe: Das ist die Bilanz des Vandalismus. der sich am Rande der Partie der Oberliga Nordost zwischen dem FC Sachen Leipzig und dem FC Berlin ereignete. Die Stadtpolizei hat am Sonntag Fehler der Polizeiführung des Bezirks angeprangert. "Wir hatten nur 219 Bedienstete zur Verfügung, die 500 gewaltbereiten Hooligans gegenüberstanden", erklärte Poiizeioberrat Karl-Heinz Krompholz. Angeforderte Verstärkungen von fünf zusätzlichen Zügen der Bereitschaftspolizei seien ihm am Donnerstag von der Bezirksbehörde der Polizei gestrichen worden. Daraufhin lehnte Kromphotz jegliche Verantwortung ab, leitete aber dennoch den Einsatz.

Mehrere Polizeibeamte hatten am S-Bahnhof Leutzsch, der dem Stadion im Georg-Schwarz-Sportpark gegenüberliegt, in bürgerkriegssähnlichen Auseinandersetzungen mit den Rowdys von der Schußwaffe Gebrauch machen müssen. Nach dem die Hooligans die Polizeikräfte eingekesselt hatten, wurde der 18 Jahre alte Mike P. aus Berlin in einer Notwehrsituation getötet. Krompholz: "Es waren keine Warnschüsse mehr. Es waren ungezielte Schüsse." Der junge Mann kommt aus dem Ostteil Berlins und war möglicherweise nur als Schaulustiger an den Vorfällen beteiligt. Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat in der Angelegenheit Ermittlungen aufgenommen. Bei den schweren Straßenschlachten, die sich zwischen 14 und 17 Uhr ereigneten. gab es Sachschaden in Millionenhöhe.

Die Krawalle begannen, als sich etwa 100 Leipziger und Berliner Jugendliche im Stadion widerrechtlich Eintritt verschafften, Besucher belästigten und Raketen abschossen. Die Polizisten drängten die Schläger aus dem Stadion. Sie stießen dann auf die Gruppe, die am Bahnhofseingang wütete. Bei den Zusammenstößen wurden vier Polizeifahrzeuge zerstört, ein Mannschaftstransportwagen ging in Flammen auf. Zwölf Privat-PKW wurden in der Leipziger Innenstadt demoliert. Das Erdgeschoß eines Warenhauses am Brühl wurde zerstört und geplündert. Auch ein Hotel war Ziel der Hooligans sowie Anwesen in der Jahnallee. Die zerstörten Häuser wurden mit Spanholzplatten notdürftig verschlossen. Die Polizei hatte am Samstagabend Einsatzalarm ausgerufen. Sämtliche verfügbaren Bediensteten am dem Land Sachsen waren in die Messestadt beordert worden. Nach 18 Uhr und am Sonntag blieb es in der Messestadt ruhig.

Die jugendlichen Banden stammen nach ersten Ermittlungen der Polizei aus Behin. Die Skinheads und Hooligans waren mit der Eisenbahn und in Sonderbussen nach Leipzig gefahren. "Die Berliner Polizei hatte uns keine Vorabinformation gegeben", erklärte Hauptkommissar Dieter Gaasenbeek von der Leipziger Stadtpolizei. Der Fanzirkel des FC Berlin treibt schon seit Jahren sein Unwesen. Erst im Frühjahr hatte es im damaligen Ostberlin mehrere Straßenschlachten gegeben. In Leipzig war es bereits am 29. September beim Oberliga-Spiel zwischen FC Sachsen Leipzig und FC Carl Zeiss Jena zu schweren Zuschauerausschreitungen gekommen, die zum Spielabbruch führten. Der vom ehemaligen Bundesliga-Profi Jimmy Hartwig trainierte Aufsteiger aus der Messestadt wurde daraufhin mit einer Platzsperre für ein Spiel belegt. Das Meisterschaftsspiel am Samstag, das Berlin 4:1 gewann. wurde mit 25minütiger Verspätung angepfiffen

 "Wir müssen aus den Fehlern lernen", erklärte Gaasenbeek am Sonntagmittag. Die Behörde will für das Spiel der Elf des Deutschen Fußball-Bundes gegen eine Auswahl Ostdeutschlands am 21. November im Zentralstadion verstärkte Sicherheitsvorkehrungen treffen. Gaasenbeek: "Wir haben in Sachsen noch kein Innenministerium. Das erschwert unsere Arbeit. Wir brauchen für das Großereignis Polizeihilfe aus dem Westen Deutschlands." Am 27. Oktober hatten Berliner Hooligans beim Auswärtsspiel ihrer Elf in Brandenburg gegenüber einem Hamburger Journalisten die Leipziger Randale angekündigt. "Der große Showdown wird am 21. November sein", erklärte dabei ein Rädelsführer. "Wir werden in Straßenschlachten die Wessie-Fans besiegen."

Süddeutsche Zeitung, 05.11.1990