Geld ist vorhanden, eisige Ablehnung bleibt

Der Verein schwimmt im Geld. 6,6 Millionen Mark scheffelte er durch den Verkauf seiner Starspieler Thom, Doll, Rohde und Ernst. Das Geld mag beruhigen und den ungeliebten Klub mit dem berüchtigten Stasi-Image vorerst finanziell sicherstellen. Zumal Innenminister Diestel den Geldhahn zugedreht hat. Aber der riesige Substanzverlust durch den "Ausverkauf" (so nach dem Motto: "Wir lösen auf") läßt die Berliner schlagartig von einer Spitzenmannschaft zu einem Durchschnittsteam werden. Die Hälfte aller Tore kam in der vergangenen Saison auf das Konto von Doll (8), Thom, Ernst (je 5) und Rydlewicz. Das Horrorproblem für Trainer Peter Rohde vor dem Saisonstart am 11. August: Wer tritt an die Stelle der "Zugvögel"? Der Kölner Rehbein, Anders oder Bonan? Es scheint, daß Rohde allergrößten Wert auf eine stabile Abwehr legen muß, um den Mangel an Souveränität und individueller Klasse in Mittelfeld und Angriff zu kaschieren.

Zehn Meisterjahre zwischen 78!79 und 87/88 mit längst aktenkundigem Schiedsrichterbonus wirken wie trostlose Geschichte angesichts von Platz 4 im vergangenen Spieljahr. Keine Medaille (zum erstenmal seit 13 Jahren), kein UEFA-Cup-Platz, tristes Umfeld, erschreckende Zuschauerzahlen! 7.271 Besucher pro Spiel im Herbst, nur noch 3.383 im Durchschnitt im Frühjahr (und so manche "offizielle" Zahl war ohnehin noch frisiert) - da geht das Wort Resonanz kaum noch über die Zunge. Der Vorjahrs-Vizemeister verlor vor allem seine Heimstärke. Niederlagen gegen den 1. FC Lok (1:3) und im Schlußspiel gegen Absteiger Aue (1:4!) sowie Unentschieden gegen Erfurt (2:2), Eisenhüttenstadt (0:0), Cottbus (1:1) und Chemnitz (0:0) machten den desolaten Zustand deutlich. Frustrierende Erkenntnis bei Nationalspieler Thomas Doll: "Wer hat schon Lust und Laune, vor leeren Rängen engagierten Fußball zu spielen!"

Auswärts schlug dem Klub ohnehin eine Welle eisiger Ablehnung entgegen. Da setzte er immerhin noch 13:13 Punkte als Trotzreaktion entgegen, selbst wenn die engere Abwehr bei 21 Gegentoren oft genug haarsträubende Fehler beging. Gegen die drei Medaillengewinner Dresden (1:1,1:6), Chemnitz (zweimal 0:0) und Magdeburg (2:1,1:3) glückte lediglich ein Heimsieg. In Dresden wurden die Berliner in einer emotional aufgeladenen Atmosphäre förmlich demontiert! In die neue Saison startet der Verein auswärts in Erfurt, empfängt dann Cottbus (18.8.)und weiß schon jetzt, was ihn in der 3. Runde in Dresden (1.9.) erwartet. Peter Rohde muß aufpassen, daß die Wege des FC Berlin nicht in der (kommenden) 2. Bundesliga enden.

Autor nicht bekannt, Neue Fußballwoche, 23.07.1990