Thom-Transfer ließ zu viele Fragen offen / Ab 1.1.1990 Andreas Thom bei Bayer Leverkusen / Folgt Rainer Ernst nun zu Borussia Dortmund?

Der Schauplatz war schon schizophren gewählt. Im Hause des DTSB-Bundesvorstandes, also eines Bundes, der sich in seinen Satzungen als Amateurvereinigung und nur offen für Amateursportler versteht, wurde Sonnabend früh verkündet, daß der BFC Dynamo seinen besten Fußballer, den 24jährigen Andreas Thom, an den BRD-Bundesligaklub Bayer Leverkusen mit Wirkung vom 1.1.1990 und für 2 1/2 Jahre verkauft hat. Andreas Thom selbst bekannte, daß dies "kein einfacher Entschluß gewesen" sei, der auch nicht von Angst diktiert wurde, "daß der BFC dicht gemacht wird". Es sei "eine ganz große sportliche Herausforderung", die er auch ohne Furcht angehe. Wenn er eingeladen würde, stünde er der DDR-Nationalelf jederzeit zur Verfügung. Dies aber verlangt erst mal die Änderung obiger DTSB-Statuten. Der Sporttag Februar 90 wird das wohl tun müssen, auch mit Blick auf Nachfolgende in anderen Sportarten.

Schließlich möchten künftige DDR-Rad-Profis (Ampter, Schur, Ludwig etc.) für die DDR bei der Profi-WM starten. Seriosität stand im sonnabendlichen Szenario. Auskünfte über Geld wurden verweigert. Bei Bayer gehört das zum Image, mit dem sich der Klub einer Weltfirma von der profanen Profi-Umwelt abheben will (mit Verspätung kam alles raus), beim BFC zum altgewohnten Stile des (Sicherheits-)Hauses. Ein Treffen zweier Geheimnisträger also, wenn auch aus höchst unterschiedlichen Ställen. Präsident Gert-Achim Fischer, cleverer Bayer-Personalchef, sprach vom "normalsten von der Welt" und davon, daß Thom seit anderthalb Jahren und noch früher auf Bayers Wunschliste gestanden habe. Dies sei "kein schnelles Einzelgeschäft, koste es, was es wolle" gewesen. Man lege Wert auf "längerfristige Kooperation" und bedaure die Lücke, die Thom in der DDR hinterlasse.

"Aber so sind nun mal die Spielregeln. Wir mußten auch schon viele Lücken schließen..." Wofür Bayer bekanntlich der ganze Erdball zur Verfügung steht. Herbert Krafft, der biedere Börsen-Neuling von Dynamo, konnte da nur altvertraute Satzhülsen gegenstellen, wie "noch bessere Arbeit ist nötig" und "wir wollen schnell besseren Fußball bieten" und "der BFC wird als führender Klub bestehen bleiben". Wenn die nun beginnenden Verkaufsverhandlungen über Rainer Ernst an Borussia Dortmund beendet sind, sollte der BFC-Vorsitzende der Öffentlichkeit lieber Konzepte darlegen, wie man trotzdem "führend" bleiben will oder ehrlich sagen: Von nun an backen wir erst mal kleinere Brötchen... Zurück zum Geld: Die Art, wie Präsident Fischer Bayers bislang teuerste Ausgabe, die 2,2 Millionen für Manfred Kastl, charakterisierte, ließ den Schluß zu, daß die Thom-Summe nicht darüber liegt.

Nun aber meldete das ZDF am Sonnabend die Summe von 4,8 Millionen. Die auf ihr Renommee bedachten Handelsleute werden irgendwie schon mitzuteilen wissen, daß es ein besseres Geschäft war. Nur wußte Präsident Fischer nichts von vereinbarten Medikamentenlieferungen. So sagte Herbert Krafft: "Alles Geld geht auf die Staatsbank. Wir werden einen bedeutenden Teil davon dem Gesundheitsminister zur Verfügung stellen." Was wiederum Finanzministerin Uta Nickel zum Schmunzeln bringen wird. Noch immer hat sie die Valuta-Oberhoheit im Lande. Die Erinnerungen an die schwarzen Valuta-Kassen in manchen Büros mahnen zur Genüge. Da der an Zuschauern und Einkünften arme, aber im Apparat aufgeblähte BFC bislang vom Land mehr bekommen als ihm gegeben hat, tilgt er damit auch ein bißchen von der Dankesschuld. Ungefragt und  unbeantwortet blieb vieles. Nach einer knappen Stunde drängte man eilig zum Aufbruch. Der Bayer-Jet wartete auf die Mitflieger aus Leverkusen und Hohenschönhausen.

Also müssen wir hier fragen:
• Wieso informiert der BFC die DDR-Medien über die Vertragsunterzeichnung am 12.12. erst am 16.12. und überläßt damit allen BRD-Medien die Rechte der Erstinformation?
• Wie ist vertraglich abgesichert worden, daß Andreas Thom jederzeit für die DDR-Nationalelf einsetzbar ist?
• Hat der BFC nur unterschrieben, was der DFV ausgehandelt hat?
• Warum übergibt BFC-Vorsitzender Herbert Krafft seinen Mitarbeitern nicht sofort sämtliche Informationen zur Weitergabe an die DDR-Medien und unterbindet damit die unwürdige "Unter-der-Hand-Informationspraxis", wie sie derzeit zu erleben ist?
• Welche Rolle spielt eigentlich der Westberliner Vermittler Michael Prawitz, dem laut "DIE WELT" zehn Prozent Provision zustehen sollen, gegen den aber der BRD-Fußballverband beim Weltverband FIFA ein Amtshilfeersuchen stellte, weil er ohne Lizenz agiert und deshalb selbst Hertha BSC die Zusammenarbeit ablehnt?
• Was ist dran an der "KICKER"-Meldung vom 11.12.: "Der Hamburger Sportpromotor Wolfgang Kuhlmann erwarb für 600.000 DM die Transferrechte an Rainer Ernst"?
• Ist es nur Gerede, daß der wieder in Vertragspflicht genommene Torwart Bodo Rudwaleit nach Eisenhüttenstadt "delegiert wurde" (so Herbert Krafft), um sich dort für einen Transfer anbieten zu können?

Diese Fragen konnten wir nicht loswerden. Wir stellen sie hier. Offenheit können die Bürger auch vom BFC verlangen. Denn sie bezahlen ihn. "BZ" hat eine Berichterstattungsreise zum Hallenturnier in Bremen, wo der BFC spielt, abgesagt. Deswegen. Die "BZ" ist für den BFC immer offen, aber nur für einen geistig erneuerten, also einen "BFC 1990".


Wolfgang Hartwig, Berliner Zeitung, 18.12.1989