Zuviel Asche bedeckt, die Glut beim Titelverteidiger / Schlechteste Halbserie seit 14 Jahren / Angriffsfeuer flackerte nur

Wer seit 1979 achtmal hintereinander Herbstmeister gewesen ist, der sollte auf Platz 4 eigentlich in Unzufriedenheit, kritischer Selbstbetrachtung und Ärger über sich selbst bis über die Halskrause stecken. Das Niveau eines ganzen Jahrzehnts und die Ansprüche daraus lassen beim BFC keine anderen Reaktionen erwarten. Denn dies war eine Halbserie, wie man sie schlechter nur vor 14 Jahren absolviert hat. 1974/75 hatte man nur 13:13 Punkte, aber mit 9:3 wenigstens eine bessere Heimbilanz als heute (8:8). Das erste Jahr der Ära Jürgen Boge begann 1977/78 mit 17:9 Punkten und brachte dann Bronze, das zweite dann schon den ersten der zehn Titel. Unendlich weit ist man heute vom elften entfernt. Dresdens Vorsprung, der neun Punkte ist größer als das Heim-Pluskonto der Berliner (8). Und deren 38:15 Tore vom Dezember '87 sind nun auf 28:15 geschmolzen. Wirkung und Ursachen! In Sachen Angriffswirkung setzte der BFC über Jahre Maßstäbe, auch aufgrund seiner individuellen Qualitäten.

Doch Thoms 14 Tore des Vorjahres schmolzen auf 5 (davon zwei Freistöße), die 7 von Doll 4 von Ernst auf 5 bzw. sogar 3. Aber für Thom und Doll wurden noch je 8 Torvorlagen registriert. Besagt das nicht, daß die meisten anderen viel zu geringe Torgefährlichkeit besaßen? Nur Pastor (8 statt 5) überbot sich. Die negativen Auswirkungen waren im Europacup wie auch in der Nationalelf leider zu sehen. Das Berliner 3:0 gegen Bremen hatte die geringe Belastbarkeit der ganzen inneren Mannschaftsstruktur noch einmal für alle Beobachter, aber auch Trainer und Akteure übertüncht, das 0:5 machte sie dann für jedermann schmerzhaft deutlich. Schon der Saisonstart mit drei Remis war mühevoll für den BFC. Bei den Niederlagen in Dresden (1:2) und Rostock (0:1) mußte man stets erst die eigenen taktischen Vorsichten und Verklemmungen überwinden, um zu einstigem Wagenut zu finden und einem Remis nahe zu kommen. Beim Heim-0:2 gegen den 1. FC Lok war auch davon nichts zu sehen. Da blieb man athletisch, kämpferisch und auch nervlich wie bei vielen Heim-Auftritten weit unter "normal".

Daß der BFC keine Hausmacht mehr hat, spürte die Konkurrenz sehr schnell. Das Aufflackern früheren Angriffs-Feuers wie im 6:2 in Erfurt oder im 2:0 bei den so heimstark gewordenen Cottbusern demonstrierte augenfällig, wie dick ansonsten die Asche einer unbegreiflichen Selbstzufriedenheit die Glut zudeckte. In all den Jahren zuvor wurden schon erste Ansätze dessen aufs energischste bekämpft. Warum mißlang das diesmal? Denn Verletzungsausfälle plagten den BFC wenig. Sieben Akteure bestritten alle Spiele, ein Spitzenwert! Die Teamstruktur stärkte das kaum. Versuche mit Talenten hatten unterschiedliche Effekte. Die Verteidiger Köller, Herzog nutzten sie, Fochler (Mittelfeld) warf eine Verletzung zurück, Stürmer Anders bremsten die eigenen Schatten zu großer Hemmungen und zu geringer Beweglichkeit. Wenn die kämpferische Unverdrossenheit der Rudwaleit (233 Spiele in Serie in fast neun Jahren!), Rohde oder Küttner das Gros der anderen zu gleichem Engagement geführt hätte, der Titelverteidiger stünde anders da. Aber die im Sommer '88 lang ersehnte Erfüllung des Traumes vom Doppel, vom Titel und Pokal, wurde für etliche nicht zur Stimulanz, sondern zum Lehnstuhl.

Wolfgang Hartwig, Neue Fußballwoche, 17.01.1989