Dynamo Berlin schafft das, was Kaiserslautern mißlang

Was dem 1. FC Kaiserslautern in der Fußball-Bundesliga mißlang, das schafften die “Volkspolizisten“ vom Ostberliner FC Dynamo. Mit 20:0 Punkten stellte die Mannschaft in der DDR-Oberliga einen Startrekord ohne Beispiel auf. Die jüngste Elf der DDR-Eliteklasse ging genau wie Kaiserslautern als Außenseiter in die Saison. Vor dem Startschuß der 31. DDR-Meisterschaft sinnierten die Experten nur darüber, ob Dynamo Dresden den Titel verteidigen oder ihn an Pokalsieger 1. FC Magdeburg verlieren würde. Von der Mannschaft des jüngsten Oberligatrainers, Jürgen Bogs (31), sprach niemand. Das hat sich inzwischen geändert. Nach dem 2:0 über Magdeburg am Samstag erkannte der Coach des ehemaligen Europapokalsiegers, Herman Stöcker: “Jetzt ist in der Jagd nach dem Titel so etwas wie eine Vorentscheidung gefallen.

Sein Kollege Jürgen Bogs will von Vorschußlorbeeren allerdings noch nichts wissen: “Wir reden noch nicht von der Meisterschaft, wir wollen in den UEFA-Pokal.“ Eine weitere Parallele zum 1. FC Kaiserslautern also. Doch wenn die Mannschaft des DDR-Innenministeriums auch am kommenden Wochenende bei Dynamo Dresden gewinnt, wird man sie 1979 wohl im Wettbewerb der Landesmeister erleben. Zu dem einst ungeliebten Team strömen mittlerweile auch die Ostberliner Zuschauer. Die Zeiten, in denen Ostberliner Rentner mit der S-Bahn ins Westberliner Olympiastadion fuhren, sind vorbei. Zu den Spielen in den Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark kamen sogar im Schnitt rund 4.000 Besucher mehr als zu denen von Hertha BSC Berlin.

Im Jahr, in dem der Deutsche Turn- und Sportbund (DTSB) 30 Jahre alt wurde, sorgten die Kicker des Volkspolizeisportklubs für eine Übererfüllung des Plansolls. Die vorher als brüchig bekannte Abwehr mußte bislang die wenigsten Gegentore (sieben) hinnehmen, man erzielte die meisten Eckbälle der Liga, und Wolf-Rüdiger Netz führt mit neun Treffern die Torjägerliste an. Ebenso gefährlich ist Nationalstürmer Hans-Jürgen Riediger, der zuletzt beim Länderspiel in Rotterdam die Abwehr von Vizeweltmeister Holland vor große Probleme stellte. Jürgen Bogs sagt von seiner Elf: “Es ist eine Mannschaft mit allen Potenzen. Sie vermag sich in der Chancenauswertung zu steigern.

Alles “überragender“ Mann ist Torwart Bodo Rudwaleit (21), mit 1,98 Metern der längste Schlußmann der Liga und designierter Nachfolger des Auswahltorwarts Jürgen Croy. Im Mittelfeld geht die meiste Wirkung von Franz Terletzki aus, der bisher acht Saisontreffer eingeleitet hat. Freistöße und Eckbälle tritt Terletzki in der Manier von Rainer Bonhof. Nur eines fehlt dem BFC Dynamo also noch: die Meisterschaft. Denn die konnte man sich in 31 Jahren kein einziges Mal holen.

Heinz Herrmann, Frankfurter Rundschau, 29.11.1978