Im Kreuzverhör: Hans-Jürgen Riediger (BFC)

Ich glaube, Riediger hat bewiesen, daß er ein sehr guter Stürmer ist, vielleicht sogar euer derzeit bester. Sicher steckt noch mehr in ihm ...“ Der Berliner, der aus Finsterwalde stammt, kassierte am Mittwoch auch nach dem 0:3 im Fußball-Länderspiel diese Anerkennung von Holland-Trainer Jan Zwartkruis. Hans-Jürgen Riediger (22) ließ sich seinen Leistungsanstieg der letzten Wochen auch im Rotterdamer “Kuip“ nicht als Strohfeuer ausblasen. Wolfgang Hartwig unterhielt sich mit ihm:

Was sind für dich selber die Gründe deines so deutlichen Auftriebs, der sich ja auch in etlichen Toren am Pokal wie in der Meisterschaft ausdrückte?
Riediger:
Das ist sicher eine Einheit von vielen Dingen: Die Erfahrung ist gewachsen, das individuelle Training erweiterte sich, was, so glaube ich, viel ausmachte, und auch meine athletischen Werte besserten sich von allem in der Schnelligkeits-Ausdauer und in der Oberkörperkraft. Na und privat kam noch einiges hinzu. Der Riediger von heute ist ein ganz anderer als jener, der sich mal in der Oberliga versuchte.

Du wurdest als 20jähriger in Montreal 1976 Olympiasieger, dein größter Erfolg. Was hat sich seitdem bei dir verändert?
Riediger:
Kurz danach im Oktober 1976, wurde ich am Fuß operiert und durfte ein Vierteljahr nicht trainieren. Die lange Zeit im Bett konnte ich aber gut nutzen, mich auf mein Abitur vorzubereiten, das ich dann auch beendete. Auch das hatte mich zuvor ja immer belastet. Jetzt habe ich mein Sportlehrerstudium angefangen, und damit komme ich gut zurecht. Die Bücher habe ich immer mit im Gepäck. Man kann nicht zwei Wochen wegbleiben, ohne mal ins Buch zu gucken, und lange Oberliga-Touren nutze ich auch dafür.

Du bist in Torsituationen heute gelassener und auch souveräner geworden. Wodurch kam das?
Riediger:
Ich bin nicht mehr so sensibel wie früher. Die äußeren Einflüsse haben nicht mehr eine solche Wirkung auf mich wie in den Anfangsjahren. Auch eine schlechte Zeitungskritik hat mich damals noch erheblich verunsichern können, heute passiert das nicht mehr. Aber daß mich vieles nicht mehr so aufregt, hängt natürlich auch mit meiner guten Form zusammen.

Jürgen Bogs ist mit 31 Jahren der Jüngste unserer Oberligatrainer. Hat er was „Spezielles“ als Erfolgsrezept?
Riediger:
Eigentlich nicht. Er weiß sich durchzusetzen, und seine bisherigen Erfolge geben ihm recht in der Art und Weise, wie er seine Arbeit anlegt. Es herrscht bei uns generell ein gutes Klima, auch zwischen Mannschaft und Leitung. Gemeinsam wird alles diskutiert und der beste Weg gesucht. Natürlich wurde die Atmosphäre durch den guten Meisterschaftsstart beeinflußt, aber das wurde alles nicht unkritisch gesehen. Deshalb wird ein Punktverlust, der ja irgendwann mal kommen muß, auch keinen umwerfen.

Ihr führt klar mit einem 18:0-Punkte-Rekord, seid aber trotz eines 5:2 noch mit 1:4 in Belgrad aus dem UEFA-Cup geflogen. Was fehlt noch?
Riediger:
Für viele von uns war die hektische Atmosphäre von Belgrad etwas ganz Neues, und vor allem für unsere Abwehr, die ich für eine gute halte, aber die für internationale Verhältnisse eben sehr jung und unerfahren ist und das nicht verkraftete. Die Atmosphäre bei Nachwuchs-Länderspielen läßt sich nun mal kaum mit der bei Europacupspielen vergleichen. Und deshalb ist es eben sehr bedauerlich, daß die Mannschaft nun wieder ein Jahr auf wirklich schwere internationale Proben warten muß.

Wie beurteilst du das, was Rotterdam nun wieder an Erkenntnissen brachte?
Riediger:
Für mich war`s sicher eines der schwersten Spiele überhaupt, aber mehr durch die physischen als die psychologischen Belastungen, ein Vize-Weltmeister ist sowieso Favorit. Ich wußte, daß ein großer Laufaufwand auf mich zukam und habe mich ihm auch gestellt. Doch die Abstimmung untereinander verlangt, daß bei günstigen Situationen auch die Abwehrspieler mal in die Spitze stoßen. Das funktioniert bei den Holländern besser, weil auch ihr Selbstvertrauen größer ist, sich mal vom Gegenspieler zu lösen.

Auch für dich selbst war es sicher ein nützlicher und wertvoller Vergleich. Wie siehst du dich selbst danach?
Riediger:
Sicher habe ich mich technisch verbessert, aber bis zum Können der „Großen“ ist es doch noch ein gutes Stück. Mit meinen 1,81 bin ich zwar körperlich groß genug, aber „oben“ muß ich noch einiges drauf bekommen, also noch öfter mal die Gewichte bewegen, um mehr Oberkörperkraft zu kriegen. Die Niederländer haben uns wohl auf einige Rückstände in den athletischen und technischen Dingen hingewiesen. Doch drei Tore waren wir sicher nicht schlechter.

Wolfgang Hartwig, Junge Welt, November 1978