Bestandsaufnahme abgeschlossen?

Mit dieser Saison machte es sich der BFC nicht leicht. Er verpflichtete Dresdens Assistenztrainer Harry Nippert; dieser postulierte die Serie als "Jahr der Bestandsaufnahme". Wohlverständlich, um die Charaktere, ihre Mentalitäten, Veranlagungen, Verwendungsfähigkeiten zu studieren. Neue Stilvorstellungen (weg vom strapaziösen Kampf, hin zum bewegungsfreudigen Spiel) existierten, neue Ideen auch. Die große Schwierigkeit? Viele Risiken eingehen zu müssen, aber dennoch eine akzeptable Plazierung zu erreichen. Das braucht Verständnis und Geduld, da ist nichts übers Knie zu brechen. Nippert bot 23 Spieler auf, 22 davon schon in der 1. Halbserie. Sieben des Vorjahrsaufgebots waren passé (Stumpf, Becker, Netz, Wargos, Voigt, Kempke, Krentz), vier kamen neu (Lauck, Wroblewski, Ullrich) oder wieder (Fleischer) in die Mannschaft.

Nicht weniger als neun Spieler kamen über das Versuchs- oder Experimentierfeld nicht hinaus (Wroblewski, Stobernack, Filohn, Schwierske, Brillat, Kranz, Hübner, Labes, R. Rohde). Alternativen eröffneten sich genug, aber ob die Saison klare Vorstellungen über die Grundaufstellung, über die Besetzung aller Mannschaftsteile und -reihen bewirkte, daran nagt der Zweifel nach wie vor. Nicht nur deshalb, weil neben Ullrich und Creydt (3 und 2 Spiele in der 1. Halbserie) auch die alten Strategen Trümpler und Carow (1. Halbserie = 6 und 3 Einsätze) wieder zu Stammspielern avancierten, sondern weil auch nicht ein einziger Aktiver in allen 26 Begegnungen mitwirkte. Was den BFC oftmals zum Gegenstand kritischer Stimmen machte, war die mangelnde Deckungsdisziplin. Taktische Dissonanzen herrschten vor, der dauernde Wechsel von Siegen und Niederlagen belastete die Berliner mit dem Ruf einer unscheinbaren Mittelfeldelf (10mal Platz 8, 9mal Platz 9 zum Beispiel).

Dennoch um ein Winziges besser als 1972/73 abgeschnitten zu haben (72/73 = Platz 6; 26:26 Punkte, 41:42 Tore - 73/74: Platz 6; 27:25 Punkte; 42:41 Tore), verdankten die Hauptstädter der drittbesten Heimbilanz aller Oberliga-Vertreter (17:7 mit dem besseren Torverhältnis gegenüber dem 1. FCM und Dresden) sowie einer beachtlichen Steigerung in der Frühjahrsserie (1. Halbserie = 10:16 Punkte, 10. Rang; 2. Halbserie = 17:9 P., 4. Rang). Zu Hause schoß der BFC 32 Tore (nur Jena schaffte mit 40 mehr), auswärts produzierte er sich mit 10 Treffern als viertschlechteste Elf, Hohe Siege (5:0 Cottbus, 4:l Riesa, Zwickau, 3:0 Chemie, Erfurt, Dresden) wechselten mit deutlichen Niederlagen (0:5 Rostock, 0:4 Jena, 0:3 1. FCM). Auch das war Ausdruck der zahlreichen — teils verständlich, teils uneinsehbar — Ungereimtheiten. Die Frage in der Titelzeile ist offen. Positiv muß sie der BFC beantworten.

Autor nicht bekannt, Neue Fußballwoche, 05.06.1974