Mitten im Strom die Pferde gewechselt / Zu viele Experimente brachten vermeidbare Rückschläge

Hand aufs Herz: Der BFC an zehnter Stelle, in unmittelbarer Nachbarschaft von Cottbus, Riesa, Erfurt und Chemie Leipzig, daran hatte vor Saisonbeginn bestimmt niemand gedacht. Wachstumsschwierigkeiten? Mitnichten! Die schlechteste Position seit Jahren an der Wendemarke der Meisterschaft (z. B. 1969/70 19:21 Tore, 13:13 Punkte; 1970/71 16:13 Tore, 13:13 Punkte; 1971/72 18:12 Tore, 14:12 Punkte; 1972/73 23:16 Tore, 15:11 Punkte) hat zweifellos ihre Ursachen. "Eine nur etwas über vier Wochen dauernde Vorbereitungsperiode war für mich zu wenig", versuchte Harry Nippert, der beim Start zur neuen Spielzeit als Cheftrainer zu den Berlinern kam, den Tabellentiefstand zu erklären. Gewiß, um neue Ideen durchzusetzen, ist das ein noch zu kleiner Zeitraum. Trotzdem war beim BFC ein solides Mannschaftsgefüge vorhanden. Immerhin standen in jüngerer Vergangenheit der Einzug ins FDGB-Pokalfinale (1970/71 1:2 nach Verlängerung gegen Dynamo Dresden), die Vizemeisterschaft (1971/72 hinter Magdeburg) und das Vordringen in das Halbfinale des EC II (1971/72 erst durch Elfmeterschießen an Dynamo Moskau gescheitert) zu Buche.

Das scheinen doch Fakten, die der Erinnerung wert sind. Der BFC startete dabei auch diesmal hoffnungsvoll mit einem 3:0 gegen Chemie Leipzig. Die übrigen drei Siege, die im weiteren Verlauf noch zu verzeichnen waren, wurden dann jedoch ebenfalls nur gegen Abstiegskandidaten errungen: 3:0 Erfurt, 5:0 Cottbus, 4:1 Riesa. Dazwischen lag ein Berg der Enttäuschungen mit Heimniederlagen gegen Jena (0:2) und Frankfurt (2:4) sowie einem 3:3 gegen Magdeburg nach eigener 3:0-Führung. Dazwischen lagen aber auch viele Experimente sowohl in taktischen Belangen als in individuellen Besetzungen. In einigen Auswärtsspielen (0:5 in Rostock, 0:2 in Zwickau, 3:4 in Leipzig gegen Lok) orientierte sich der BFC nach zuvor jeweils im 1-3-3-3-System gewonnenen Treffen auf ein 1-3-4-2.

Nun ist nichts gegen Varianten einzuwenden, die womöglich auch den Kontrahenten verwirren. Nur geschahen sie in Augenblicken, wo das Bemühen um Stabilität den Vorrang haben mußte. Mitten im Strom die Pferde zu wechseln, das geht nun einmal nicht gut. Nicht anders war es mit der Formation der engeren Verteidigung. Als letzter Mann fungierten vier Spieler: Brillat (5), P. Rohde (4), Carow (3) und Lauck (1); als Vorstopper — gegen Cottbus verzichtete Dynamo darauf, diese Position zu besetzen — sogar fünf: Trümpler (6), Lauck (3), Johannsen, P. Rohde und Filohn (je 1). Die Quittung ist am Torstand abzulesen. Wie leider so viele Oberligavertreter hatten die Berliner ebenfalls einige Verletzungsausfälle (Filohn, Hübner, Johannsen). Obwohl der BFC in in der Liga-Staffel B zu den stärksten Kollektiven zählt (1971/72 und 1972/73 Sieger der Staffel B) und hier junge Leute positionsgebunden eingesetzt werden, wurden Stürmer (Johannsen, Wroblewski) zu Abwehrspielern, ehe Nachwuchsmann Ullrich seine Chance in der höchsten Leistungsklasse erhielt.

Seit diesem 10. Spieltag ging der BFC auch an seinem Routinier Carow nicht mehr vorbei, dessen Einsatz angesichts der Deckungsmisere erheblich früher hätte erfolgen müssen. Mit ihm im Zentrum der Hintermannschaft büßte Dynamo in fünf aufeinanderfolgenden Kämpfen nur noch vier Tore ein (1:1 in Aue, 4:1 gegen Riesa, 1:2 beim FCK, jeweils 2:0 im Pokal gegen Magdeburg). Hat der BFC die "schwierige Geburt" in dieser Saison wirklich hinter sich? fuwo-Fazit: Ein zehnter Tabellenplatz kann für Dynamo nie und nimmer ein Maßstab sein. Trainer und Spieler machen kein Hehl daraus, daß sie sich dieser Tatsache verpflichtet fühlen. Der Ausklang der ersten Halbserie hat angedeutet, wozu die Berliner fähig sind. Mit einer wieder zuverlässigen Abwehr sollte in das gesamte Spielsystem des BFC die notwendige Sicherheit einziehen.

Hans-Günter Burghause, Neue Fußballwoche, 03.01.1974