Das fuwo-Thema

Der bisherige Europapokalweg des BFC Dynamo gibt zum Nachdenken Anlaß. Zum Nachdenken über Probleme, die mit der kontinuierlichen Entwicklung einer Mannschaft zusammenhängen. So oft wir in den vergangenen Jahren bilanzierten, den Gesamtverlauf der Punktspielserien wie das Abschneiden der einzelnen Oberliga-Kollektive beurteilten, in einem Punkt standen die Berliner immer weit vorn: in der Vielzahl eingesetzter Spieler! Zwischen 22 und 24 Akteuren bewegten sich die Zahlen von 1968/69 bis 1970/71. An der Steffenstraße bewirkte die leistungsinstabile Quantität oft genug ein Ausweichen auf neue Kräfte, auf andere Namen, ohne daß sich damit ein Leistungsanstieg verband.

Damit scheint jetzt endgültig Schluß zu sein. Gewiß, auch in der laufenden Saison griff Hans Geitel bereits auf 20 Spieler zurück, aber nach erstem Abtasten rückten zum Beispiel Filohn, Voigt, Fleischer, Lyszczan und Brillat in die zweite Reihe des von Martin Skaba betreuten Liga-Spitzenreiters BFC Dynamo II, während die bisherigen fünf Europapokaltreffen lediglich von 15 Aktiven bestritten wurden. Auch in unseren Breitengraden leugnet kein Fachmann den Wert, die Vorteile einer eingespielten Formation gegenüber einem Kollektiv, das ständigen positionellen Veränderungen unterliegt, aber der eigene Weg der Erkenntnis ist oft schwer. Wie bietet sich das Bild beim BFC Dynamo an? Daß der vorjährige FDGB-Pokalfinalist in der Saison 71/72 nicht nur in den Meisterschafts-, sondern auch in den Europapokalspielen Furore macht, hat Ursachen.

Selbst nach einem keineswegs geglückten Punktspielauftakt - 3:5 Punkte nach vier Spielen sahen die Berliner auf Platz 11 - und dem unbefriedigenden 1:1 im Heimspiel der 1. EC II-Runde gegen Cardiff City ließen sich die Geitel-Schützlinge nicht aus der Bahn werfen. Ihr glänzender Kampf im Ninian-Park in Cardiff, der mit dem gewonnenen Elfmeterschießen (5:4) seinen verdienten Lohn fand, war die Stimulanz für die folgenden Wochen und Monate. Daß der englische Zweitdivisionär Cardiff City ebensowenig zur ersten europäischen Klasse zu zählen ist wie der mit vielen ausländischen Profis gespickte V.A.V. Beerschot Antwerpen und jetzt der zweifache schwedische Pokalsieger Atvidaberg FF ist kein Geheimnis. Wenn der BFC Dynamo für alle drei noch immer ein sogenannter "Traumgegner" war, dann auf Grund der völlig fehlenden Erfahrungswerte der Berliner, die zum erstenmal in eine der europäischen Klubkonkurrenzen eingriffen.

Deshalb nötigt das bisherige Abschneiden des BFC um so mehr Anerkennung ab. Drei Siege sowie zwei Unentschieden brachten ihn bis vor die Tore des Halbfinales, das der damalige SC Motor Jena von allen unseren Mannschaften zum einzigen und auch letzten Male 1961/62 im EC II erreichte. Glück oder Pech ist bei Auslosungen stets ein relativer Begriff. Der BFC Dynamo hielt sich an das Prinzip, keinen Kontrahenten zu unterschätzen, jedem mit einer konzentrierten, willensstarken Leistung zu begegnen. Dafür wurde er zu Recht belohnt! Das Kollektiv erstarkte, der einzelne gewann an Profil, auch bei einer Schwäche des einen oder anderen geht die Gesamtwirkung nicht mehr verloren. Geitels Vertrauen in 15 Stammspieler zahlte sich aus. Wenn die Elf heute von einem Erfolgserlebnis zum anderen eilt, ist das auch anderswo nachdenkenswert.


Günter Simon, Neue Fußballwoche, 14.03.1972