Günter Simon sprach mit Nationalspieler Wilfried Klingbiel: "Lachen des Sohnes behüten..."

...dann erst an den Fußball denken" Von Walter Klingbiel bis zum kleinen Uwe
Im Omnibus begleiteten wir am. Mittwoch der vergangenen Woche unsere Nationalmannschaft von Zwickau nach Plauen, wo sie ein weiteres Vorbereitungsspiel auf die noch ausstehenden WM-Qualifikationsspiele gegen eine nordböhmische Auswahl austrug. Und es schickte sich gut, daß Wilfried Klingbiel, der Linksaußen in der Nationalmannschaft und beim SC Dynamo Berlin, neben uns seinen Platz, einnahm, ergriffen wir doch erfreut die Gelegenheit, mit ihm unsere Vorstellungen über einen weiteren Beitrag zur "Väter-und-Söhne"-Serie der "FU-WO" auszutauschen, Gedanken und Erinnerungen zu Papier zu bringen, so wie es das lebhaft geführte Gespräch ergab. Es ist unschwer zu erraten, daß im Kreis der Nationalmannschaft, wenige Stunden vor einem Übungsspiel, der heute 22jährige sich zunächst seinen schönsten Fußballerlebnissen zuwandte, die von der Nationalmannschaft nicht zu trennen sind.

"Wir haben unvergleichliche schöne Stunden in Indonesien, Ghana, Guinea, Liberia und in der Sowjetunion verlebt, die einfach nicht aus dem Gedächtnis zu tilgen sind, denen immer wieder neue hinzugefügt werden. Gleichfalls beeindruckten mich die Reisen mit meinem Club nach China und Korea ungemein, doch mein bestes Spiel für den SC Dynamo lieferte ich in der Begegnung der diesjährigen Intertoto-Kunde gegen den Wiener Sportklub. Wir demonstrierten dem verwöhnten Wiener Publikum eine perfekte Mannschaftsleistung und errangen einen verdienten und beachtlichen 5:3-Sieg, zu dem auch ich ein Tor beitrug", erfahren wir von dem intelligent plaudernden Dynamo-Spieler, dessen erfolgreiche Laufbahn in einer der zahlreichen Schülermannschaften in der Spielzeit 1947/48 bei der BSG Lokomotive Stendal begann.

"Mein sportlicher Weg unterscheidet sich sicher nicht wesentlich von dem anderer Fußballer", fährt Wilfried Klingbiel fort, "denn mehrere Jahre spielte ich als Schüler, drei Jahre in B-Jugendmannschaften und zwei Jahre in der ersten Junioren-Elf. Wichtig aber war für mich, daß ich mit Kurt Liebrecht und Albrecht Strohmeyer talentierte Nebenspieler hatte. Wir spornten uns gegenseitig an, errangen fünf Jahre hintereinander Jugend- und Junioren-Bezirksmeistertitel und damit ein Maß an Selbstvertrauen, das uns später in der Männermannschaft sehr zustatten kommen sollte." Und der Wilfried bedurfte dessen schon, denn bereits mit 17 Jahren erhielt er die Sondergenehmigung, in der Oberliga-Elf der BSG Lok Stendal zu spielen, die in ihrer siebenten Oberliga-Saison 1957 nach einer 0:3-Niederlage gegen den SC Chemie Halle-Leuna im letzten Meisterschaftsspiel die Klassenzugehörigkeit verlor und die Bitternis des Abstiegs erneut in Kauf nehmen mußte.

Seinen Talentnachweis hatte Wilfried allerdings gebracht, denn am 22. Juli 1956 bestritt er in Gdansk gegen Volkspolen sein erstes Junioren-Länderspiel, das zwar mit 1:3 (1:2) Toren verlorenging, ihn aber zu ersten Torschützenehren auf internationalem Parkett kommen ließ. 1957 gehörte er zum UEFA-Juniorenaufgebot für das Turnier in Spanien, was für ihn insofern eine Schwierigkeit mit sich brachte, da er nach der Heimkehr unverzüglich sein Abitur ablegen mußte, und es selbstverständlich auch bestand. Doch es gab auch sportliche Rückschläge. Nach dem erneuten Aufstieg Lok Stendals zur Oberliga im Jahre 1958 mußte man dann ein Jahr später abermals zur I. Liga absteigen. Das wechselvolle Fußballgeschick der Stendaler Oberliga-Elf erlebte Wilfried Klingbiel bis Ende des Jahres 1959 mit, um sich dann dem SC Dynamo Berlin anzuschließen.

"Als Linksaußen profitierte ich natürlich ungemein von der Fußballkunst 'Moppel' Schröters", gesteht er uns freimütig, "denn neben ihm muß man unbedingt zur Wirkung kommen." Und der Lohn stellte sich alsbald ein, denn bereits im Juni 1958 wurde er in den Kreis der Nationalmannschaft für das Länderspiel gegen Polen berufen. Und in diesem in Rostock ausgetragenen Länderspiel gab es für ihn eine schöne Duplizität der Ereignisse, denn so, wie er im ersten Junioren-Länderspiel zu Torehren kam, gelang ihm auch in seinem ersten A-Länderspiel in der 33. Minute ein Länderspieltor, das zugleich unser einziges des mit einem 1:1-Unentschleden endenden Spieles bleiben sollte. Dieses Spiel brachte dem Linksaußen den entscheidenden Durchbruch, denn er lieferte eine hervorragende Partie gegen den rechten polnischen Verteidiger Szcepanski.

Weitere internationale Begegnungen ließen nicht auf sich warten: Insgesamt absolvierte er Nachwuchsländerspiele gegen die CSSR, Polen, Belgien und England, spielte gegen die CSSR in der B-Auswahl und verzeichnete bisher sechs Spiele in der Nationalmannschaft gegen Polen, Bulgarien, die Sowjetunion und Dänemark. "Es werden sicher nicht die letzten Länderspiele in der Nationalmannschaft für dich sein, Wilfried", warfen wir in unser Gespräch ein, woran nach den letzten überzeugenden Leistungen des Dynamo-Linksaußen auch nicht zu zweifeln ist. "Freuen würde ich mich schon darüber, denn mit den Aufgaben steigert sich natürlich auch der Ehrgeiz, im Nationalmannschaftstrikot nicht zu enttäuschen. Allerdings habe ich auch die Absicht, meine Berufsausbildung durch ein Fernstudium an der Ingenieurschule für Eisenbahnwesen in Dresden weiter zu verfolgen, wobei ich mich besonders für das Maschinenwesen interessiere. Nach einem zweieinhalbjährigen Meisterstudium in der volkseigenen Industrie ist das für mich sicher der aussichtsreichste Berufsweg", erfahren wir von Wilfried, dessen ernsthafte Bemühungen in dieser Hinsicht mehr als zu begrüßen sind.

Diese Ansicht teilte auch Vater Klingbiel, dessen Liebe seit frühester Jugend dem Fußball gehörte, so auch heute noch. In Stendaler Fußballkreisen galt er in den zwanziger Jahren als beachtliches Talent, bis ihn eine bösartige Krankheit für zwei Jahre ans Krankenbett fesselte. Die schlechten Ernährungsverhältnisse nach dem zweiten Weltkrieg waren die Ursachen für eine Knochen-Tbc, die dem blutjungen Walter Klingbiel das linke Bein (Oberschenkelamputation) kostete. Die Hilfe seiner Sportfreunde, der vielen Stendaler Fußballanhänger, ließen ihn die schweren Stunden überstehen, an die er sich dennoch immer wieder zurückerinnern muß. Im Hause Klingbiel herrschte stets echte Fußballatmosphäre, hier war Fußball immer Trumpf. "Diese leidenschaftliche Hingabe zum Fußball", erfuhren wir von Vater Klingbiel, "hat sich natürlich auf Wilfried übertragen, für den ich trotz der Funktion eines technischen Leiters bei der BSG Lok Stendal immer genügend Zeit hatte, um sein Interesse zum Sport wachzuhalten."

Die Mühe des Vaters hat ihren Lohn gefunden, in der sportlichen Entwicklung des Sohnes bis zum Nationalspieler. Unsere Story wäre aber unvollständig, würden wir nicht das Wichtigste im Hause der jungen Klingbiels erwähnen, denn am 15. Mai dieses Jahres gebar seine Frau Barbara einen Sohn. "Unser kleiner Uwe ist jetzt erst ein Vierteljahr alt, so daß ich mir noch keine Sorgen darüber zu machen brauche, ob aus ihm einmal ein Fußballspieler wird, obwohl dies natürlich auch mein Wunsch ist, wie es vor Jahren der meines Vaters war. Eines aber ist nicht nur für mich und meine Familie wichtig, nämlich daß wir unser Leben im Frieden einrichten können, damit unser Sohn vor tragischen kriegerischen Ereignissen bewahrt wirrt, die noch immer Unheil und Not angerichtet haben. Das Lachen meines Sohnes werde ich auch zu behüten wissen", beschließt Wilfried Klingbiel unser Reisegespräch, das für unsere Leser doch wissenswerte Dinge erbracht haben sollte.


Günter Simon, Neue Fußballwoche, 22.08.1961