"Tore schießen - kein Problem für uns" / Die Leichtathletik war der Wegbereiter für die Brüder Emil und Manfred Poklitar

Für den Eingeweihten wäre durchaus Anlaß zur Verwunderung gegeben, bei einem Fußballspiel des SC Dynamo Berlin, das er vor heimischem Publikum austrägt, zwei bekannte Gesichter nicht unter den Zuschauern zu sehen: das Ehepaar Poklitar. Ob es sich um ein Freundschafts- oder ein Meisterschaftsspiel handelt; ob an heißen, sonnendurchglühten oder grauen Regentagen, Vater und Mutter Poklitar sind zugegen, um beim Spiel ihrer Söhne zuzuschauen, um später sowohl mit fachmännischer Kritik als auch mit begütigenden Worten zur Hand zu sein. Und die Jungen wissen den guten elterlichen Rat zu schätzen, weil ihre sportlichen Entwicklungswege vom Vater vorgezeichnet worden sind. Werfen wir zur Verständlichkeit einen kurzen Blick zurück in die Vergangenheit: Im rumänischen Tschernowitz, einer 40.000 bis 50.000 Einwohner zählenden Stadt, die heute der ukrainischen Sowjetrepublik zugehörig ist, hatten die Poklitars in den dreißiger Jahren ihren Wohnsitz.

Der beruflichen Vielseitigkeit Vater Wladimir Poklitars war die sportliche ebenbürtig. Nach einem Biologiestudium und dem Besuch der Zeichenakademie - seine zeichnerischen Talente werden heute noch in der Familie gelobt - übte er schließlich den Beruf eines Fischerei-Zollinspektors aus. Seine sportlichen Ambitionen erstreckten sich auf das Säbelfechten und vor allem auf den Fußball, der beim einstigen FC Tschernowitz hoch im Kurs stand. Als Linksaußen war Wladimir Poklitar, der sich durch eine robuste körperliche und stets energische Spielweise auszeichnete, ein gefürchteter Torschütze. Seine Liebe zum Sport übertrug sich auf seine beiden Söhne, wie uns Emil Poklitar, der ältere Sohn des Hauses und Mittelstürmer beim SC Dynamo, zu berichten weiß: "Mein Bruder Manfred und ich wurden als Kinder bereits sportlich interessiert, denn Gymnastik und Schwimmen gehörten zu unserem Tagesprogramm. Wir wuchsen ziemlich selbständig auf, spielten auch Fußball mit Gleichaltrigen, doch erst nach unserer im Jahre 1947/48 erfolgten Übersiedlung nach Zatec in die CSSR geschah das auch wettkampfmäßig."

Während Manfred neun Jahre alt war, als er in der 2. Schülermannschaft begann, zeichnete sich Emil als Linksaußen in der 1. Schülerelf mit 80 geschossenen Toren besonders aus, bis ihn eine Verletzung am Knie dazu zwang, den Fußball aufzugeben. Drei Jahre dauerte diese Zwangspause, bis zur Zusammenführung der Familie im Jahre 1952 in Falkensee bei Berlin. Zwar gehörte er der Schulmannschaft in Falkensee an, doch ernsthaft widmete er sich zunächst der Leichtathletik. Daß die leichtathletischen Disziplinen beiden Brüdern mehr als nur ein Zeitvertreib waren, bewiesen uns die voller Stolz vorgewiesenen Medaillen, Plaketten und Urkunden: "Im Jahre 1955 war ich Mitglied der 4x100-m-Meisterstaffel der männlichen Jugend B", erzählt Emil Poklitar, "errang einen zweiten Platz im Kugelstoßen und einen dritten Platz im Diskuswerfen, wobei damals der jetzige Eishockey-Nationalstürmer Hans-Joachim Ziesche sich vor mir plazieren konnte."

"Und wie war es bei dir, Manfred?" wandten wir uns an den Jüngeren: "In Falkensee und bei der SG Finkenkrug spielte ich zunächst Fußball, wurde dann aber auf der KJS Brandenburg mehr oder weniger zur Leichtathletik gezwungen, weil Fußballspielen verboten war. Meistertitel konnte ich zwar nicht erringen, dennoch hat Emil ganz schön um seinen Kugelstoß-Hausrekord gezittert, denn ich blieb nur 8 cm darunter." Schließlich führte ihr Weg doch zum Fußball, was Vater Poklitar sichtlich froh stimmte. Vom ersten "richtigen" Spiel an zeichnete sich Emil als erfolgreicher Torschütze aus. So gelangen ihm sechs von sieben Toren bei einem Sieg der Kreisauswahl Nauen (Jugend) über die Auswahl des Kreises Gransee. Mit 17 Jahren wurde er dann Mitglied der 1. Männermannschaft der SG Finkenkrug, für die er je Spiel vier Tore schoß. In der Bezirksauswahl Potsdam eingesetzt, wurde schließlich Rotation Babelsberg auf den entschlossenen jungen Burschen aufmerksam, der dann noch im Abstiegsjahr der Rotationer als Mittelstürmer eingesetzt wurde.

"Mein Bruder holte mich dann auch nach Babelsberg", wirft Manfred ein, "wo ich ab Juli 1958 in der Juniorenelf spielte." Danach stellte ihn Trainer Karl-Heinz "Schrippe" Schröder gleich als Rechtsaußen in die II. DDR-Liga-Mannschaft, in der er bis zum Ende des diesjährigen ersten Meisterschaftsdrittels spielte. In der I. DDR-Liga-Elf Rotation Babelsbergs erlebte Emil Poklitar einen erstaunlichen Höhenflug, wozu nicht unwesentlich die Zuneigung des Publikums beitrug, das den Mittelstürmer mit "Emil-Emil-Emil"-Anfeuerungsrufen anspornte. Die Meisterschaft des Jahres 1959 ging zu Ende, als sich Emil Poklitar dem SC Dynamo Berlin anschloß und zunächst in der Reserve eingesetzt wurde. Drei unentschiedene Resultate - 1:1, 0:0, 0:1 gegen den SC Fortschritt Weißenfels, Chemie Zeitz und den SC Chemie Halle - des Clubs in der neuen Meisterschaft führten dazu, daß er in die 1. Mannschaft als Mittelstürmer kam. Trainer Janos Gyarmati sagt von dem eigenwilligen, kraftvollen Stürmer: "Der Junge ist für mich der Mittelstürmer, weil er torgefährlich ist, ein Beißer, der Tore schießen kann."

Mit 15 Toren eroberte sich Emil Poklitar 1960 den 4. Platz im Torschützenklassement der Oberliga, in diesem Jahr schoß er bereits 9 Tore im ersten Meisterschaftsdrittel, womit der Mittelstürmer seine Torgefährlichkeit unter Beweis stellte. "In der Inter-TOTO-Runde hatte ich zwar besonders starke Gegenspieler mit Hledik, Osliszlo und Büllwatsch, doch gegen Klasseleute steigere ich mich wesentlich", sagt uns Emil zum Abschluß unseres Gespräches, wobei wir diese Feststellung durchaus unterstreichen können, wenngleich dem jungen Dynamo-Mittelstürmer seine Grenzen nicht verborgen geblieben sein werden. Fleißiges Bemühen ist also notwendig bei ihm und seinem Bruder Manfred, der jetzt ebenfalls dem SC Dynamo Berlin angehört. Und wir hegen keinen Zweifel, daß Vater Poklitar seinen Teil dazu beitragen wird.


Günter Simon, Neue Fußballwoche, 25.07.1961