So sieht es heute beim Sportclub Dynamo Berlin aus

3. Juli 1955 im Berliner Walter-Ulbricht-Stadion. Grenzenlose Enttäuschung herrschte unter den 35.000 Zuschauern, die sich an diesem schönen Sommertag in der weiten Arena eingefunden haben. Berlins junge Oberligamannschaft SC Dynamo kämpft gegen den polnischen Staatsliga-Club Gwardia Warschau einen hoffnungslosen Kampf und verliert ihn schließlich mit sage und schreibe 0:7! Niemals vorher ist ein Oberligakollektiv unserer Republik so kraß deklassiert worden. Alle Bemühungen der routinierten Spieler in der Mannschaft, die Katastrophe aufzuhalten, scheitern. Erbarmungslos wird Dynamo überrollt. Die "Neue Fußball-Woche" schrieb damals: "in der augenblicklichen Verfassung ist der SC Dynamo einfach nicht dazu in der Lage, unseren Fußballsport in nationalen oder internationalen Begegnungen mit Auszeichnung zu vertreten. Was sich beim 0:3 gegen die Stuttgarter Kickers schon andeutete, wurde gegen den Tabellendritten der polnischen Staatsliga in erschreckender Weise deutlich. Der SC Dynamo hat auf einigen Posten derzeitig Spieler zu stehen, die nun wirklich noch kein Oberligaformat haben."

War aber das krasse Versagen Dynamos nur in der Tatsache zu suchen, daß in der Mannschaft damals so bewährte Kräfte wie Schoen, Klemm, Matzen, Holze und Möbius fehlten? Sicherlich trifft das zu einem Teil schon zu, aber die Ursachen lagen doch tiefer. Die ganze Umstellung der Elf nach der Gründung des Clubs in Berlin, die damit verbundenen organisatorischen Schwierigkeiten und Geburtswehen waren wohl in erster Linie der Grund dafür, warum Dynamo damals dieser Aufgabe noch nicht gewachsen war. Viele rückständige und am Alten haftende Elemente glaubten damals (mit Genugtuung!) nicht daran, daß die VP-Elf sich wieder fangen würde. Wie richtig aber die Bildung des SC Dynamo in der deutschen Hauptstadt Berlin war, beweist die jüngste Vergangenheit. Nach knapp einem halben Jahr besaß die Elf trotz der starken Konkurrenz in der Übergangsrunde eine reelle Chance auf den ersten Tabellenplatz!

Eine solch ungewöhnliche Leistungssteigerung in relativ kurzer Zeit muß klar erkennbare Ursachen haben. Deshalb machte sich die Fu-Wo-Redaktion auf die Beine und besuchte das Kollektiv sozusagen "in allen Lebenslagen", um zu erforschen, wie es zu der bedeutsamen Aufwärtsentwicklung kam. Mittwoch nachmittag 14 Uhr, Sportplatz Steffenstraße in Berlin-Hohenschönhausen. Etwa 30 Spieler, unter ihnen einige der SG Dynamo Berlin-Mitte, laufen sich warm. Es ist erstaunlich, wie intensiv die Spieler mit und ohne Ball arbeiten. Die drei Trainer Petzold, Lalouczek und Hausner sind jedoch nicht zu erblicken. Frage an den vorbeidribbelnden Herbert Schoen: "Bei euch macht wohl jeder, was er will. Wo sind denn eure Trainer?" Die Antwort: "Wir wärmen uns 20 Minuten lang individuell auf. Jeder weiß, was er zu tun hat. Das eigentliche Training beginnt erst danach!" Wir treffen kurz danach Helmut Petzold: "Brauchen Sie Ihre Spieler beim Warmlaufen nicht zu beobachten? Da fehlt doch jede Kontrolle!"

Helmut Petzold zu uns: "Wir versuchen diese Methode seit einiger Zeit. Meine Spieler sind heute so weit, daß sie wissen, was hartes Training bedeutet. Diesen ersten Abschnitt der Übungsstunde können sie allein bewältigen. Ich staune, auf welche Einfälle sie bei ihrer individuellen Arbeit kommen. Bei Fehlern korrigieren wir sie natürlich." Wer Fußballspieler kennt, weiß, wieviel Überzeugung und Erziehung dazu gehören, sie zum allein betriebenen, intensiven Training, und sei es nur zum Aufwärmen, anzuhalten, ohne daß einer mit der "Axt" dahinterstehen muß! Nach 20 Minuten ertönt ein Pfiff aus der Trillerpfeife. Die Spieler lassen die Bälle liegen und treten an. Der Mannschaftskapitän (solange Moppl Schröter fehlt, übernimmt Matzen diese Funktion) meldet Trainer Petzold die Anwesenden und Fehlenden. Dann geht es über eine Stunde lang "mit harten Bandagen" rund! Wenzel Lalouczek knetet Heinz Klemm durch, eine andere Gruppe übt immer und immer wieder die Folge Steil- und Querpaß, Helmut Petzold hat sich die Stürmer vorgeknöpft und exerziert mit ihnen gegen zwei Abwehrspieler den Paß in den freien Raum und den Positionswechsel.

Die Übungsformen wechseln natürlich ab. Hauptwert aber wird auf die Steigerung der K o n d i t i o n gelegt, wie es gerade jetzt in der Vorbereitungsperiode in erster Linie vonnöten ist. Die Spieler stöhnen manchmal unter der harten Belastung, denn das Trainerkollektiv schenkt seinen Schützlingen nichts. Dazu der Verantwortliche Trainer: "Wir können noch härter arbeiten. Die Ergebnisse der Übergangsrunde beweisen es. Ich habe bei der Trainerkonferenz in Werdau meine Pläne mit denjenigen Trainern verglichen, deren Mannschaften am besten abgeschnitten haben. Sie stimmen im wesentlichen in der Dosierung mit meinem überein, ein Beweis für die eingangs erwähnte Feststellung! Die Spieler werden sich daran gewöhnen müssen. Oft sind sie natürlich nicht gerade davon begeistert. So mußte ich z. B. einmal selbst unseren Auswahlkapitän Günther Schröter nach zweimaliger Ermahnung vom Training ausschließen! Auch andere Erziehungsmethoden zeigen ihre Auswirkungen.

So haben wir einen Wettbewerb zwischen Oberliga- und Reservekollektiv durchgeführt. Dabei fanden solche Punkte wie Trainingsfleiß- und Intensität, Pünktlichkeit sowie die Pflege des Sportmaterials, das ja Eigentum der SV Dynamo ist, Berücksichtigung. Das hatte zur Folge, daß sich die Spieler, um ihrem Kollektiv Minuspunkte zu ersparen, eine bewußte Disziplin entwickelten, die man heute bereits als befriedigend bezeichnen darf. Sie sollten einmal sehen, wenn Herbert Schoen oder Heinz Klemm darangehen, ihre Trainingsbekleidung in Ordnung zu bringen. Daran wäre vor einem Jahr noch gar nicht zu denken gewesen! So erzieht also jeder praktisch jeden! Die Auswirkungen dieses kollektiven Zusammenwachsens zeigen sich natürlich auch auf dem Spielfeld!
" Wir wenden uns mit einer die Berliner Fußballfreunde bewegenden Frage an Sportfreund Günther Purrmann vom SC Dynamo: "Warum spielt die Mannschaft nicht mehr im Walter-Ulbricht-Stadion"?

"Die Anlage in der Steffenstraße ist Eigentum der Deutschen Volkspolizei. Hier haben wir alle Möglichkeiten zum Training, gute Räume zum Umkleiden, Duschen, eine kleine Kantine und einen sauberen hellen Clubraum für den theoretischen Unterricht. Die Spieler fühlen sich wohl hier draußen. Vor allem haben sie während des Wettkampfes einen viel besseren Kontakt zum Publikum als im Walter-Ulbricht-Stadion, das doch wohl mehr für die ganz großen Veranstaltungen gebaut wurde. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Fassungskapazität des Hauptplatzes vergrößert wird. Hier entsteht in der Zukunft ein großes Sportforum. Über die Verbesserung des Zubringerdienste haben wir mit der BVG schon verhandelt. Noch sind allerdings nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Wie werden uns natürlich die größte Mühe geben, auch in dieser Hinsicht unsere Freunde zu befriedigen. Vorbedingung sind aber auch dafür in erster Linie gute Leistungen. Und die wollen wir ja zeigen!"

Autor nicht bekannt, Neue Fußballwoche, 31.01.1956