FDGB-Pokal 1988/89 - Finale: BFC Dynamo - FC Karl-Marx-Stadt 1:0

Über die Logik des Sieges
Der Pokal besitzt seine besonderen Gesetze. Das gilt seit Jahrzehnten als der Weisheit und der Logik letzter Schluß für das Cupgeschehen von der ersten Runde bis hin zum Finale, beim Sterben der Favoriten und beim Triumph der Außenseiter. Die Varianten sind also vielfältig über die Rollen bei einem Endspiel, auch zwischen dem FCK und dem BFC. Welche Logik galt denn vor dem Anstoß? Daß die Dynamos als zehnfacher Champion und Pokalverteidiger der klare Favorit sind gegen eine Bisher-Mittelfeldelf des FCK? Und daß die Weinroten mindestens drei Nationalspieler in ihren Reihen haben und der Außenseiter auf seinen, auf Rico Steinmann wegen Verletzung verzichten muß? Oder galt mehr, daß die Hauptstädter zweifellos momentan nicht mehr die Souveränität und Spielsicherheit vergangener Jahre besitzen, in der Meisterschaft zuletzt gar gebeutelt wurden und die Karl-Marx-Städter unter der Meyerschen Regie mit ihren himmelblauen Dressen schon das Licht kommender EC-Tage sehen, mit spielerisch beachtlichen Leistungen sich selbst neue Maßstäbe setzten?

Auf einen Nenner gebrachte Logik hieß wohl für die meisten: Alles ist möglich! Logik während des Spiels - Der spätere Sieger wollte mit Bogschem Nachdenken durch Umbesetzungen Stabilität in der Abwehr garantieren und für mehr Motorik sorgen. Er wußte um eine mögliche nervliche Anfälligkeit bei einem Rückstand und verstand es, dem aus dem Wege zu gehen; nicht zuletzt durch Rudwaleits Rettungstat beim tollen Direktschuß von Heidrich (14.). "Notfalls auf die Verlängerung bauen, denn darauf sind wir spezialisiert", Thomas Dolls Kommentar verriet die innere Einstellung der Dynamos, Sicherheit und Cleverneß im Ernstfall auszuspielen. Meyers Pläne konnten sicherlich in erster Linie nur dahin gehen, dem BFC auch den Kampf anzubieten, aber seine Elf hätte dabei nicht zuviel des Spielerischen opfern dürfen. Fast nur lang geschlagene Bälle sind zwar für Richter und bei dessen diesmal vorhandener Mobilität nicht unangebracht, doch auf die Dauer stellt sich der Kontrahent darauf ein.

Nicht zuletzt atmeten die Himmelblauen am Ende mehr als die Weinroten, weil die weiten Wege einige Spieler (Wienhold, Müller, Heidrich) überforderten. Die Logik, den beiden gefährlichen BFC-Angreifern Doll und Thom durch Laudeley und Illing fast gleichschnelle und vor allem zweikampfstarke Akteure als Pärchen-Deckungsbetrieb anzubieten, geriet ins Wackeln, weil die "Berliner Zwillinge" sich mit ihrer technischen Sicherheit und dem Fintenrepertoire, durch ihre Aktivitäten immer wieder zu entziehen vermochten. "Mit Illing patzte eine Bank", gestand Hans Meyer nach dem Abpfiff. Aber eben nicht unerwartet, weil über neunzig Minuten jedes Deckungsprinzip seine Löcher offenbart, zumal wenn nach dem Laufduell vor dem alles entscheidenden Treffer Thom zwar in eine günstige, aber niemals hundertprozentige Torschußsituation kam, ihm erst der bis dahin erstklassige J. Schmidt durch das unnötige Verlassen seines Gehäuses den leichtesten Weg für die Torerzielung ebnete.

Daß der FCK danach sofort und nicht erst in den wirklich letzten Minuten alles auf eine Karte hätte setzen müssen, dieser Logik folgte er nicht und ersparte dem BFC außer bei der Eingabe von Seifert und folgendem Preßschlag zwischen Zöphel und Mehlhorn größere Probleme und Unsicherheiten. Logik des Erfolgs - Sie ergab sich aus dem Übergewicht in der individuellen Klasse einzelner Spieler. Im fehlerlosen Rudwaleit, im Rackerer Rohde mit Entscheidungsvorlage nach Direktspiel mit Thom, in der Beweglichkeit von Doll, im Engagement von Thom. Daß eben bei relativer Ausgeglichenheit auf den meisten Positionen eine Aktion und letztlich ein Spieler ein ganzes Finale entscheiden können, Thom unterstrich es erneut bei seiner überlegten Verwandlung mit jener Ruhe vor dem Tor, die den FCK-Akteuren abging, je näher sie dem Gehäuse kamen, weil ihre Möglichkeiten zu oft herausgekämpft, zu wenig erspielt waren. Zudem lagen die Chancenvorteile ohnehin bei den Berlinern, insbesondere zwischen der 15. und 35. Minute.

Die Dynamos wußten sie zwar auch nicht zu nutzen, aber sie konnten stärker als die Karl-Marx-Städter auf die Wiederkehr warten und auf die Cleverneß des einen (Thom) bauen. Logik der Gewißheit - Bis zum Endspiel konnten beide Mannschaften zwei EC-Eisen schmieden. Für die Berliner mit der Schon-Startberechtigung im EC II und damit der Gewißheit internationaler Repräsentanz auch in der nächsten Saison kann der Erfolg zusätzlich heilende Wirkung tätigen, was die weiteren Auftritte in der Meisterschaft betrifft, auch wenn Dresdens Vorsprung vor Illusionen schützt. Der FCK hat die erste Chance von den Füßen und Köpfen gleiten lassen, aber immerhin sind durch die Vortagsniederlage des FCL in Dresden über Nacht die Plazierungschancen gestiegen. Vielleicht führt diese Gewißheit im Championatsringen zu zuvor gezeigter spielerischer Stärke zurück. Das wäre doch wohl nur logisch, wenn er seine heimlichen internationalen Träume erfüllt sehen will. Bleibt noch die Logik, dem BFC zur Pokalverteidigung zu gratulieren. Denn am Ende hatte der (kleine) Favorit doch sicher gewonnen. Logisch?!

BFC Dynamo:
Rudwaleit; B. Schulz, Reich; Zöphel (83. Ksienzyk), Köller; Ernst, Fügner, Küttner (85. Albrecht), Rohde; Doll, Thom
FC Karl-Marx-Stadt:
Schmidt; Illing; Laudeley, Barsikow, Köhler; Wienhold, Heidrich (58. Ziffert), Müller, Keller (72. Seifert); Richter, Mehlhorn

1:0 Thom               (57.)

Schiedsrichter:        Ziller (Königsbrück)
Zuschauer:             35.000


Jürgen Nöldner, Neue Fußballwoche, 04.04.1989