FDGB-Pokal 1984/85 - Finale: SG Dynamo Dresden - BFC Dynamo 3:2

Das halbe Dutzend ist komplett / In einem gutklassigen und dramatischen Treffen der beiden Dynamo-Vertretungen aus Dresden und Berlin setzte sich die spielerisch stärkere Mannschaft durch / Döschner, Stübner und Minge trafen für Dresden, Thom und Ernst für den BFC
48.000 Zuschauer, unter ihnen die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros des Zentralkomitees der SED, Egon Krenz, Erich Mielke, Harry Tisch und Gerhard Schürer, erlebten im Berliner "Stadion der Weltjugend", seit 1975 traditionelle Stätte des Endspiels, das 34. Finale um den Pokal des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes. Zum vierten Male nach 1971, 1982 und 1984 blieben die Dresdner im Aufeinandertreffen der beiden Dynamo-Mannschaften erfolgreich. Kurt Zahn, Mitglied des Präsidiums und Sekretär des FDGB-Bundesvorstandes, Prof. Dr. Günter Erbach, Staatssekretär für Körperkultur und Sport und DFV-Präsident, und Karl Zimmermann, Vizepräsident des DTSB und DFV-Generalsekretär, überreichten die Trophäe und die Medaillen. Zwei Pokale zieren den Trophäenschrank der Dresdner Dynamos.

Während durch den vorangegangenen fünfmaligen Cupsieg die bisherige Trophäe fest im Besitz ist, errangen die Elbflorenzer nun auch als erste den neu geschaffenen Pokal. Für dieses 34. Finale hatten sich unsere beiden besten Mannschaften, Meister und Vizemeister, qualifiziert, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten für die Dresdner gegen den FC Vorwärts und für den BFC gegen den 1. FC Magdeburg im Halbfinale. Bei 50:50 Chancenanteilen, wie vor dem Anpfiff von allen Beteiligten prognostiziert, dürften psychische Vorteile ob des dreimaligen Sieges der Dresdner in einem Finale gegen den BFC oder des Punktspielerfolges der Gelb-Schwarzen vor ein paar Wochen in Berlin kaum ins Gewicht gefallen sein, ebensowenig wie der sehnliche Wunsch der Hauptstädter nach dem bisher verwehrten Doppel Meisterschaft-Pokal Verunsicherung oder zusätzliche Kräfte freilegte.

Ein Finale lebt von der Kraft der Stunde, des Sichbestätigens in den Minuten größter Angespanntheit, entscheidet sich durch das nahtlose Ineinandergreifen der einzelnen Mannschaftsteile, durch das Herausheben der Individualisten. Die Dresdner hatten in diesen Finalminuten die besseren Trümpfe - nur logisch kam der verdiente Erfolg. In einem glichen sich die Urteile aller. Die Dresdner verfügten über die größere Ausgewogenheit in der Besetzung. Denn Leistungsgefälle entscheiden nun einmal mit in einem Alles-oder-Nichts-Spiel, wie es ein Finale fordert. Das Wissen um die Stabilität in den eigenen Reihen (sieht man vom heilsamen 2:5-Ausrutscher in Frankfurt [Oder] ab), um die technische und spielerische Sicherheit prägte die Aktionen der Schwarz-Gelben in hohem Maße, verlieh ihnen nicht nur das optische Übergewicht in den ersten 45 Minuten, verschaffte ihnen im Gegensatz zum Kontrahenten auch die Torgelegenheiten, insbesondere für Minge (3., 6.) und Pilz (8.), bestätigte sie in der Auffassung, daß der sechste Pokalgewinn in greifbare Nähe rückte.

Dörners souveränes Stellungsspiel, die Zweikampfsiege Trautmanns gegen Ernst, das Sich-wieder-Finden von Döschner, immerhin Torschütze und Torvorbereiter für Minges Kopfball, der Energieaufwand Stübners, das Kräftefreilegen von Kirsten, die Schwerstarbeit von Minge brachten die Dresdner auf den Erfolgsweg. Auswahlstürmer Ralf Minge lieferte die Musterstudie, aus welchem Holz ein Finalist geschnitzt sein muß. Das Auslassen der ersten Chancen bestärkten ihn nur noch in seinem Willen. Das dritte, alles entscheidende Tor krönte seine Angriffsleistungen. Den taktischen Schachzug Sammers, ihn danach für neue Aufgaben in den Abwehrbereich zu beordern, setzte er mit leidenschaftlicher Hingabe um.

Einige der Dresdner ragten also heraus, und was sich als nicht minder wichtig erwies, niemand von den anderen blieb unter den Erwartungen. Mit einer solchen Palette in allen Mannschaftsteilen konnte der Rekordmeister nicht aufwarten. Er hatte zwar Rohde dabei, doch Wunderdinge konnte der Auswahlspieler nach Verletzungspause natürlich nicht vollbringen. Doch da niemand ihm die Rolle des Motors im Berliner Spiel abnahm, des Antreibers, wirkten die Hauptstädter weitestgehend vor dem Wechsel inaktiv. Weil sich Grether und Ullrich, Maek später, die gesamte Mittelfeldreihe, Pastor und Ernst nicht an ihre wahren Leistungsgrenzen heranspielten, teilweise auch nicht herankämpften, bröckelte das Vorhaben des BFC auseinander.

Der BFC verfügt für unsere Verhältnisse über eine gehörige Portion Cleverness. Daß er sie beim Kulminationspunkt des Spieles zwischen der 46. und der 60. Minute nicht ausnutzte, in der einzigen Phase. als das Spiel hätte gekippt werden können, deutet auf die fehlende Substanz an diesem Finaltag hin. Unzureichendes individuelles Können gebar Schwachstellen. Andreas Thom konnte sie allein nicht überspielen, auch wenn er ein ums andere Mal die Dresdner düpierte. vor seinem raffinierten Freistoß schon die Latte traf (49.), sich mit seiner Wendigkeit und Antrittsschnelligkeit hervorhob. Wer zu Übertreibungen neigt, mag den Vergleich einer (Thom) gegen viele (Dresdner) angestellt haben, doch ganz von der Hand zu weisen ist er auch von Realisten nicht. Aus der Sicht der Kapitäne sah Phase der Entscheidung naturgemäß unterschiedlich aus.

Hans-Jürgen Dörner meinte: "Ich spürte, daß wir zu locker deckten. Darum war ich mir sicher, ein Anziehen der Zügel bringt uns den Pokal." Und Bodo Rudwaleit sagte: "In diesem Augenblick glaubte ich an unsere Chance, die Partie herumzureißen." Jörg Stübner mit seinem Schuß aus 16 Metern beendete die bohrenden Fragen nach dem Pokalsieger, seine Mannschaft spielte sich danach wieder auf den Erfolgsweg. Für die Dresdner Dynamo-Mannschaft ist nun das halbe Dutzend Pokalsiege komplett, nicht zu vergessen ihre ebenso vielen Meisterschaften. Der BFC schaffte auch im vierten Anlauf nicht das erhoffte Doppel. Doch die Enttäuschung darüber wird die Berliner sicherlich von einem erneuten Versuch nicht abhalten.


SG Dynamo Dresden:
Jakubowski; Dörner; Büttner, Trautmann, Döschner; Häfner, Pilz, Stübner; Kirsten (86. Schuster), Minge, Lippmann (32. Gütschow)
BFC Dynamo:
Rudwaleit; Rohde; Ullrich, Trieloff (70. Maek), Grether; Backs (80. Voß), Schulz, Terletzki; Thom, Ernst, Pastor

1:0 Döschner           (43.)
1:1 Thom               (51.)
2:1 Stübner            (59.)
3:1 Minge              (67.)
3:2 Ernst              (88.)

Schiedsrichter:        Roßner (Gera)
Zuschauer:             48.000


Jürgen Nöldner, Neue Fußballwoche, 11.06.1985